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Finnlands Industrie vermißt die Sowjets

■ Mit dem Zusammenbruch der UdSSR verlor Finnlands Wirtschaft ihren wichtigsten Absatzmarkt

Helsinki (dpa/taz) — In Finnland macht sich bereits die Polizei Gedanken über die Folgen der Wirtschaftskrise: Die Zahl der Banküberfälle hat sich 1991 auf die Rekordzahl von 103 verdoppelt. Das sei zweifellos auch auf die „tiefgehenden wirtschaftlichen Probleme zurückzuführen“, hieß es jüngst in einer Pressemitteilung der Kriminalpolizei in Helsinki. Tatsächlich stehen immer mehr der fünf Millionen EinwohnerInnen Finnlands vor unüberwindbaren Geldproblemen — wenn sie sie nicht auf illegalen Wegen lösen wollen.

Daß die Rezession Finnland wesentlich härter trifft als andere westeuropäische Länder, hat seinen Grund vor allem östlich der Grenze. Durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch der ehemaligen UdSSR hat das nordeuropäische Land seinen mit Abstand wichtigsten Markt verloren. Gerhard Wendt, Chef bei Kone, einem der größten Fahrstuhlproduzenten der Welt und einem der wenigen Unternehmen in Finnland mit schwarzen Zahlen, gab denn auch in einem Zeitungsinterview freimütig zu, was angesichts dieser dramatischen Veränderung im August in manchen Managerköpfen vorgegangen ist: „Offen gesagt, haben mehrere finnische Unternehmensspitzen den Putschversuch in Moskau begrüßt. Geschäftlich, nicht politisch.“

Aber der gar nicht so fromme Wunsch, die Putschisten könnten das Chaos in der Sowjetunion beenden und nebenbei auch wieder geordnete Absatzmöglichkeiten für finnische Waren schaffen, blieb unerfüllt. Vor allem die stark vom Sowjetexport abhängige Konsumgüterindustrie blieb auf ihren Textilien, Schuhen und Lebensmitteln sitzen und muß nun teilweise mit halbierten Umsätzen zurechtkommen.

13,6 Prozent der FinnInnen, mehr als je zuvor seit Kriegsende, waren im Januar arbeitslos gemeldet. Zu den Opfern gehören auch viele, die in besseren Zeiten Schulden gemacht haben und heute mit ihren Abzahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Auch Kleinunternehmer, unter ihnen vor allem Bauern, können ihre Kredite nicht mehr abzahlen und müssen aufgeben. Und das hohe Zinsniveau von 13 Prozent hat den Immobilienmarkt praktisch zum Zusammenbruch gebracht. Immer mehr Offenbarungseide, Zwangsversteigerungen und als unverkäuflich leerstehende Wohnungen gehören inzwischen zum Alltagsbild.

Der Hintergrund dieser trostlosen Entwicklung liest sich in der nüchternen Sprache des Statistischen Zentralbüros so: Das Bruttosozialprodukt fiel 1991 um 6,2 Prozent, die Industrieinvestitionen nahmen am Jahresende um 17 Prozent ab. Die drei großen staatlichen Unternehmen Kemira (Chemie), Valmet (Maschinenbau) und Outukumpu (Bergbau), früher exportorientierte Flaggschiffe der Industrie, haben derzeit die zweifelhafte Ehre, auf der Liste der US- Zeitschrift 'Fortune‘ über die verlustreichsten Unternehmen der Welt zu den Top 34 zu gehören.

Auf eine Wende zum Besseren wird man nach Meinung aller Beobachter und auch der Regierung noch lange warten müssen. Weder die längst eingeleitete Umorientierung auf westliche Märkte noch die Abwertung der Finnmark im November um 12,3 Prozent oder die Ankündigung eines EG-Beitrittsgesuchs haben der Konjunktur bisher auf die Beine geholfen, noch können sie dies kurzfristig schaffen. Die Industrie hat ihre Investitionspläne drastisch gekürzt. So hat die holzverarbeitende Industrie ihre Investitionen um 20 Prozent verringert; der Maschinenbau investierte zehn Prozent weniger.

Einstweilen müssen die finnischen Durchschnittsmenschen ihre Gürtel enger schnallen. Bei den Tarifverhandlungen 1991 stellten nicht die Gewerkschaften, sondern die Arbeitgeber die Forderungen, und das Gerangel um Prozente betraf Lohnkürzungen statt Anhebungen. Sieben Prozent weniger erhalten finnische Beschäftigte in diesem Jahr und können sich überdies noch auf kräftige Steuererhöhungen gefaßt machen, die das mehr oder minder verzweifelt mit Haushaltsproblemen ringende Kabinett von Esko Aho bereits als unausweichlich angekündigt hat.

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