: Finanzsenator als Kultursenator
Der Fall LCB: Begehrlichkeiten aus Bonn auf das Wannsee-Grundstück des Literarischen Colloquiums versetzen die Berliner Literaturhäuser in Unruhe / Streichkonzert im Anzug ■ Von Jörg Plath
Als ruhelose, sich stets wandelnde Metropole versteht sich Berlin seit den zwanziger Jahren. Nach der Maueröffnung ist das nicht anders geworden, aber die Visionen haben sich rasant verändert. War zu Mauerzeiten die Kulturhauptstadt das Leitbild, so ist es nun die Politikhauptstadt.
Von der Rezession beschleunigt, zeigen die neuen Präferenzen ihr Gesicht. Im Handstreich wurde das Schiller Theater geschlossen, und nun scheint die Literatur an der Reihe zu sein. Das „Literarische Colloquium Berlin“ (LCB) steht auf der sogenannten „Streichliste“ von Finanzsenator Pieroth.
Der zuständige Kultursenator kam seiner Fürsorgepflicht für das LCB auf seltsame Weise nach. Ulrich Roloff-Momin berichtete auf der Kuratoriumssitzung des Colloquiums Ende Januar über Pläne des Finanzsenators, die prächtig gelegene Villa am Wannsee samt Grundstück zu verkaufen. Elmar Pieroths „Streichliste“ existierte, so war zu hören, wohl schon länger. Hat der Kultursenator also in letzter Minute die Flucht nach vorne angetreten und das bedrohte Haus mit seinen weltweiten Kontakten um Unterstützung gebeten?
Seit das LCB die Trommel rührt, tragen die Briefträger schwer an eintreffenden Solidaritätsbekundungen von Grass, Walser, Enzensberger u.a. Am vorletzten Freitag sah sich der Kultursenator genötigt, in einem offenen Brief an Martin Walser zu beteuern, eine Schließung des LCB komme nicht in Frage. Doch die auf einen zweistelligen Millionenbetrag geschätzte Immobilie erwähnte er mit keinem Wort.
Gerüchte wissen von „Bundesbegehrlichkeiten“: als Botschaft wäre die Villa mit dem königlichen Blick auf den Wannsee gut geeignet. Elmar Pieroth, aus dessen Haus die „Streichliste“ stammt, hat sich bis heute nicht geäußert. Unversehens macht der Finanzsenator Kulturpolitik – ein durchaus sinnfälliger Vorgang.
Im Berliner Etat klaffen Löcher, weil Bonn überraschend 640 Millionen Bundeshilfe gestrichen hat. Am Rhein scheint die besondere Situation der einstigen Mauerstadt unbekannt zu sein, die plötzlich um ein halbes neues Bundesland mit all seinen Problemen größer geworden ist. Zu den Einsparungen soll der Kulturetat 108 Millionen beitragen.
Die Kulturverwaltung versucht nach den Protesten gegen die LCB-Schließung, Schaden zu begrenzen. „Jede Institution ist unabdingbar“, sagt Dietger Pforte. Der Literaturreferent beim Kultursenator verwaltet 4,8 bis 5,2 Millionen für die Autoren- und Literaturförderung, das sind nicht einmal 0,5 Prozent des gesamten Kulturetats. Streichungen kommen für ihn nur in der Größenordnung seines Anteils am Etat in Frage. „Aber ich kann nicht erwarten, daß der Literaturetat von den Streichungen ausgenommen wird. Also müssen wir innerhalb der Strukturen sparen, jede Institution muß mit etwas weniger Geld auskommen.“
Doch die vier Literaturhäuser erhalten zusammen nur 3,2 Millionen aus dem Literaturetat – weniger als ein Prozent des Geldes, das für Theater und Oper aufgewendet wird (389 Millionen). Selbst radikale Einschnitte brächten bestenfalls einige hunderttausend Mark.
Die Menge des zerschlagenen Porzellans aber wäre immens. Wenn irgendwo in Berlin die Verständigung zwischen Osten und Westen, zwischen Deutschland und der Welt betrieben wird, dann in den Literaturhäusern. Ihre brückenschlagende Funktion spiegelt sich sogar im Stadtbild wider.
Die Literaturhäuser liegen zu gleichen Teilen in Ost und West, an der Peripherie und im Zentrum: das LCB am Wannsee und die „literaturWERKstatt“ in Pankow, das „Literaturforum im Bertolt- Brecht-Haus“ in Mitte und das „Literaturhaus“ in der Fasanenstraße nahe dem Kurfürstendamm.
Jede Institution besitzt eine unverwechselbare Programmatik. Das zweifellos größte Renommee hat das 1963 gegründete LCB; einst tagte hier die Gruppe 47. Günter Grass spricht in seinem Protestschreiben an den Regierenden Bürgermeister von „unserem Haus am Wannsee“. Diese Formulierung ist sicher ganz im Sinne des Gründers: Walter Höllerer wollte einen Begegnungsort für Autoren aus aller Welt schaffen. Das öffentliche Programm des LCB zeigt nur einen Bruchteil der Veranstaltungen.
An durchschnittlich fünf Tagen im Monat finden Lesungen und Diskussionen statt; für die meist unbekannten Autoren wird Aufmerksamkeit geweckt. In der übrigen Zeit übernimmt das LCB eine Art Servicefunktion für den Literaturbetrieb. Hier treffen sich Autoren, Übersetzer, Verleger, Literaturvermittler. In den Gästezimmern leben jährlich acht bis zehn Berlin-Stipendiaten, junge Talente, die für drei oder fünf Monate frei vom Zwang des Geldverdienens schreiben können. Ungefähr 600.000 DM von Stiftungen, Bundesministerien und ausländischen Geldgebern stocken den Jahresetat des LCB von 895.000 DM (darin rund 165.000 DM für Projekte) auf.
705.000 DM (davon rund 200.000 DM Projektmittel) erhält das 1991 gegründete „Literaturforum im Bertolt-Brecht-Haus“. Hier werden nicht nur die Brecht- Tage ausgerichtet, auch programmatisch lassen sich die fünf Mitarbeiter vom Namensgeber leiten. An die Stelle des LCB-Konzepts von Weltliteratur tritt im Brecht- Haus das Experimentelle. Die bildenden Künste sind mit Ausstellungen, Performances und Installationen vertreten.
Selbstverständigung ist ein widerkehrendes Motiv der Veranstaltungen im Bertolt-Brecht- Haus. „Die Wörter sind in Ost und West unterschiedlich besetzt“, sagt der für Literatur zuständige Ludger Bült, „sie müssen erklärt werden, und schon ist man mitten im Erzählen.“ Daß die Veranstaltungen durch das Kreischen der Straßenbahn, das Röhren der Zweitakter und Brummen der Viertakter auf der Straße untermalt werden, ist Ludger Bült ganz recht: „So stellt sich der hohe Ton beim Gespräch über Literatur gar nicht erst ein.“
Darin ist er sich einig mit Thomas Wohlfahrt, dem Leiter der „literaturWERKstatt“ in Pankow. Auch die zweite Ost-Institution wurde erst nach der Wende in der DDR gegründet. Autoren „besetzten“ die ehemalige Dienstvilla des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl. Nach der Vereinigung erreichten sie die Übernahme des Literaturhauses durch den Senat. Auch die „literaturWERKstatt“ setzt auf den Diskurs. An Stelle von Einzellesungen gibt es eine Vielzahl von Reihen, die ausschließlich von Autoren betreut und moderiert werden. Die anfängliche Kritik, das Programm sei „ostlastig“, ist verstummt. Die „literaturWERKstatt“ zeigt Lust am Experiment und an der Grenzüberschreitung zu anderen Künsten, zum Beispiel rappenden Lyrikern. Diskussionen und Ausstellungen runden das Programm ab; 272.000 DM eingeworbene Gelder ergänzen Projektmittel.
Diese Aktivitäten im hohen Norden Berlins sind von Anfang an aus der Fasanenstraße argwöhnisch beäugt worden. Herbert Wisner, Gründer des im westlichen Stadtzentrum seit 1986 ansässigen „Literaturhauses“, fürchtete wohl den Konkurrenten. In den erlesen restaurierten Räumen der Stadtvilla finden neben den „offiziellen“ Veranstaltungen (820.000 DM Zuwendungen; davon rund 180.000 DM Projektmittel; 90.000 DM Drittmittel) auch die des Trägervereins statt. Wohl um den Eindruck der Beliebigkeit zu vermeiden, kündigen zwei Faltblätter zwei Programme an.
Im Unterschied zu den anderen Häusern sind Reihen im „offiziellen“ Programm des „Literaturhauses“ die Ausnahme. Man orientiert sich weitgehend an Neuerscheinungen von relativ bekannten, auch schwierigen Autoren, die oft von Literaturwissenschaftlern und Kritikern vorgestellt werden. In Vorträgen erinnert das „Literaturhaus“ außerdem an vergessene Autoren. Der Anspruch, kein „Clubhaus berlinerischer Literaturprovinz“ (Herbert Wiesner) zu sein, wird am ehesten mit den hervorragend gestalteten Ausstellungen zu „Walter Serner“, „Zensur in der DDR“ oder „Die Bukowina“ eingelöst.
Die Veranstaltungen aller Häuser sind dank ihrer unterschiedlichen Profile durchweg gut besucht. Berlin habe, meint Literaturreferent Dietger Pforte, „eher ein Literaturhaus zuwenig“ als eines zuviel. Das zielt auf eine weithin unbekannte Institution, das „Berliner Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur“ (KiHu). Die Nachfolgeorganisation des abgewickelten DDR-„Zentrums für Kinder- und Jugendliteratur“ zog in dessen Haus in der Weinmeisterstraße und erhielt vom letzten DDR-Kulturminister eine Million DM. Dieses Geschenk wird im Sommer aufgebraucht sein – die Bedingung dafür, daß im Literaturetat 1995 erstmals 360.000 DM für das KiJu eingeplant sind.
Zu dem Kreis der literarischen Veranstalter gehört schließlich auch das „Haus der Kulturen der Welt“ in der alten Kongreßhalle am Reichstag. Wie das KiJu erhält es keine Mittel aus dem Literaturetat, Berlin bezahlt nur die infrastrukturellen Kosten des Hauses. Ungefähr 300.000 DM Projektmittel stammen aus dem Bundeshaushalt, dieselbe Summe kommt noch einmal durch Drittmittel herein. Mit diesen Geldern werden ausschließlich außereuropäische Autoren zu Einzellesungen oder mehrtägigen Großveranstaltungen eingeladen. Eigene Publikationen begleiten die Lesereihen, um den meist unbekannten Autoren den Weg zu einem deutschen Verlag zu ebnen. Durch die Kooperation mit den anderen Literaturhäusern verschafft der Projektleiter Kurt Scharf manchem Schriftsteller weitere Auftrittsmöglichkeiten. Die immensen Reisekosten verteilen sich dann auf mehrere Schultern.
Alle diese Institutionen sind durch die immer noch nicht ausgestandene Diskussion um die Schließung des LCB alarmiert. Bei einem ersten Treffen am letzten Donnerstag protestierten die erwähnten Häuser gegen den Plan des Finanzsenators, die LCB-Villa zu verkaufen.
Einig sind sich die Literaturhäuser mit der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, daß im Kulturetat nicht gestrichen werden dürfe. Die schon jetzt bestehende chronische Unterfinanzierung verbiete weitere Kürzungen. „Effektiv haben wir Minusrunden gehabt, denn der Etat ist seit 1986 trotz Inflation nicht gewachsen“, sagt Ernest Wichner vom „Literaturhaus“. „Jedes Minus von 1,5 Prozent im Gesamtetat schlägt mit acht Prozent auf die Programmittel durch“, rechnet der Geschäftsführer des LCB, Ulrich Janetzki, vor. „Das ist der einzige Bereich, wo wir sparen können. Um die Erhöhungen der Gehälter, der Preise für Strom, Gas, Reinigung kommen wir nicht herum.“ An den Honoraren zu sparen, das weist Thomas Wohlfahrt von der „literaturWERKstatt“ wie ein unsittliches Angebot zurück: „Die Autorenhonorare sind schon jetzt am Sozialhilfesatz orientiert!“
Alle Augen richten sich nun auf den Kultursenator. Ihm möchten die Literaturhäuser bei den schwierigen Etatberatungen am ersten März-Wochenende den Rücken stärken. Da bietet sich die Abwandlung einer Formel an, mit der sich Roloff-Momin im letzten Jahr vor die drei Opernhäuser gestellt hat: „Mit mir nicht!“
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