KOMMENTAR: Finanzpolitik in Filzpantoffeln
■ Verharmlosung und Leisetreterei in Bonn sind gescheitert
Es wird ernst. Bisher war alles nur Geplänkel. Der Streit um die Zuschüsse für freie Gruppen, die Pflichtstundenerhöhung für Lehrer, die Tarif- und Gebührenerhöhungen — all das war nur das Vorspiel. Das echte Grusical kommt erst jetzt. Und die Berliner müssen in den nächsten Jahren mitspielen, ob sie wollen oder nicht.
Der Senat muß sparen und das auf unser aller Kosten. Schon gibt es Leute im Senat, die ernsthaft überlegen, die Universitäten auf die halbe Größe zu schrumpfen und die Studenten aus den anderen Bundesländern nach Hause zu schicken. Das Ergebnis wäre verheerend: Was, wenn nicht die Hochschulen, hat in den letzten Jahrzehnten immer wieder Menschen in die Stadt gezogen und damit dafür gesorgt, daß das traditionelle Berliner Schultheiss-Milieu nicht unter sich blieb. Kahlschlagkonzepte nach diesem Muster sind nur zu einem nutze: als Drohgeste gegenüber Bonn.
Daß Ideen dieses Kalibers trotzdem ernsthaft diskutiert werden, ist in doppelter Weise die Schuld des Finanzsenators. Hörte man ihn am Sonntag reden, dann klang alles immer noch harmlos. Ein Haushaltslöchlein müsse man stopfen, kein echtes Loch. Keine zwei Tage später reißt Bonn den Finanzsenator aus den Träumen: Nicht zweieinhalb Milliarden soll die Stadt sparen, sondern — ätsch! — ganze vier.
Still und leise versuchte sich Pieroth bisher durch die Haushaltskrise zu schleichen: mit Finanzpolitik in Filzpantoffeln. Doch die Strategie der Verharmlosung in Berlin ist gescheitert. Ebenfalls die Leisetreterei gegenüber den Finanzpolitikern in Bonn, die überall vor Subventionskürzungen zurückschrecken und einzig Berlin die Milliarden streichen, als ginge es um Taschengeld. Wenn Pieroth jetzt nicht in die Schuhe kommt, dann kippt Berlin bald aus den Latschen. Hans-Martin Tillack
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