Finanzkrise: Internationales Bankensystem wackelt
Wichtige Notenbanken pumpen Milliardenbeträge in den Geldkreislauf, um den Finanzcrash abzuwenden. Die Börsenkurse sacken weltweit ab.
Der gewünschte Effekt blieb aus: Zur Beruhigung der Märkte hatte die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstagnachmittag überraschend 95 Milliarden Euro in den Geldkreislauf gepumpt, um Kreditengpässe zu überwinden. Es war das erste Mal seit den Anschlägen vom 11. September 2001, dass so eine Maßnahme nötig erschien. Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) stellte ihren Banken viermal so viel Geld zur Verfügung wie in der Vorwoche. Alles umsonst! Gestern wurden neue Liquiditätsspritzen nötig. Die EZB stellte weitere 61 Milliarden Euro bereit, die Fed 19 Milliarden Dollar, und auch in Japan und Australien gab es frisches Geld.
Für die Investoren signalisierten die massiven Interventionen nur eines: Die Lage ist offenbar wirklich ernst. Jetzt heißt es verkaufen. Der Deutsche Aktienindex (DAX) verlor am Donnerstag glatte zwei Prozent. In New York wurden automatische Handelsbeschränkungen aktiviert, die größere Kursabstürze verhindern sollen. Trotzdem sackte der Dow-Jones-Aktienindex um fast drei Prozent ab. Gestern ging es weiter abwärts. In Seoul, Tokio und Hongkong war von Panik die Rede. In Frankfurt begann der Handel fast weitere zwei Prozent unter dem Vortagesschluss, und im Lauf des Tages erholten sich die Kurse kaum.
Am Anfang waren es ja nur ein paar Hochrisikodarlehen, die US-Hypothekenbanken an amerikanische Hausbesitzer vergeben hatten. Als einige dieser Baufinanzierer Pleite gingen, blieben die Sorgen begrenzt. Als nächstes aber traf es mehrere Hedgefonds, die sich mit den Hypotheken verspekuliert hatten - gerade wurde berichtet, dass ein zweiter Hedgefonds der großen US-Investmentbank Goldman Sachs in ernsten Schwierigkeiten sei. Dann machte die Schieflage der IKB Deutsche Industriebank deutlich, dass sich das Problem nicht auf die USA beschränkt und auch ganz normale Banken betroffen sind. Nach der IKB sorgte nun auch die französische Großbank BNP Paribas für Unruhe. Sie muss drei Fonds schließen, die sich unter anderem mit Hypotheken verhoben hatten. Andere ähnliche Fonds erlitten heftige Abflüsse, etwa bei der Deutschen-Bank-Fondsgesellschaft DWS.
Die Banken reagierten auf die Turbulenzen, indem sie ihre Kreditvergabe stark reduzierten. Zunächst waren davon vor allem Finanzinvestoren betroffen - insbesondere die berüchtigten Heuschrecken, die plötzlich ihre riskanten Übernahmedeals nicht mehr finanziert bekamen. Je höher aber der Sorgenpegel bei den Banken steigt, desto mehr halten sie ihr Geld zusammen. Wer noch einen Kredit will, muss dafür immer höhere Zinsen zahlen. Hohe Zinsen aber machen Investitionen unattraktiver, so dass die ganze Konjunktur darunter leiden könnte. Nicht einmal untereinander leihen sich die Banken noch größere Summen, um für einen reibungslosen Ablauf der Geschäfte zu sorgen.
Das rief nun die Zentralbanken auf den Plan. Auf einmal ist nicht mehr nur von einer Hypothekenkrise die Rede, sondern von einer allgemeinen Kreditkrise. Am Donnerstagmorgen waren die Zinsen für Tagesgeld - also sehr kurzfristige Kredite, die oft von großen Konzernen und Banken genutzt werden - von 4,1 auf 4,6 Prozent geschossen. Die EZB hatte daraufhin mitgeteilt, sie stehe bereit, "um geordnete Bedingungen auf dem Euro-Geldmarkt zu gewährleisten". Doch nicht alle Finanzexperten sind überzeugt, dass ihr dies gelingt. "Die grundsätzliche Problematik der US-Hypothekenkrise kann die EZB nicht abfedern", befürchtet etwa der DekaBank-Volkswirt Ulrich Kater. Die Wurzel des Übels ist, dass sich Unternehmen, Investoren und - zumindest in den angelsächsischen Ländern - Verbraucher zu viel Geld geliehen haben. Dies Problem aber wird durch kurzfristige Geldspritzen in das Bankensystem nicht beseitigt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt