Fimstart „Bourne Legacy“: Blaue und grüne Pillen
Agent Cross will nicht verdummen: Tony Gilroy inszeniert die nächste Folge des Agententhrillers „Bourne Legacy“ – und das durchaus lohnend.
Ein Eisschwimmer in arktischer Kältelandschaft, gefrorener Schnee zerklumpt in seinem Vollbart. Nach der Ertüchtigung gilt es schnell ein Feuer zu machen. Wie sonst soll man sich diese verdammten, hungrig wirkenden Wölfe vom Leib halten.
Es ist ja schon hart, wie survivalistisch die Trainingslager der CIA mittlerweile konzipiert sind. Wenigstens eine Isomatte und ordentliche Fäustlinge hätten sie dem Agenten Cross schon mitgeben können.
Doch dass der Ausgesetzte dermaßen archaisch auf sich allein gestellt ist, obwohl er Mitglied eines Dienstes ist, der gewöhnlich auf technologische Hochrüstung setzt, hat einen programmatischen Grund in diesem Thriller. Agent Cross, dem der großartige Jeremy Renner in diesem vierten Teil der „Bourne“-Reihe seine skeptische Underdog-Physiognomie leiht, ist in seiner Grundausstattung nämlich schon genau das: Hightech.
Der Drehbuchautor macht weiter
Man könnte ob dieses Auftakts von einem Kaltstart sprechen, den Renner als Nachfolger von Matt Damons ikonischem Jason Bourne hier durchzustehen hat. Weniger, weil er einfach so in der Wildnis ausgesetzt wird, sondern weil er einen Franchisefilm schultern muss, dem der Star abhanden gekommen ist.
Damon und der Regisseur der letzten beiden „Bourne“-Folgen Paul Greengrass konnten sich mit den Lizenzhaltern nicht auf eine Fortsetzung einigen. Deshalb übernahm der Drehbuchautor der Reihe, Tony Gilroy, bei „The Bourne Legacy“ nun auch gleich die Regie.
Die Aufgabenstellung wird dadurch kompliziert, dass Gilroy sich entschieden hat, keinen klassischen Star-Reboot durchzuführen, bei dem Renner einfach die Figur von Damon übernimmt und weiterführt. Bei einer Reihe, die sich vom Gros des gegenwärtigen Actionkinos vor allem durch einen geschickt gebauten Identitätszweifeltwist abzusetzen verstand, wäre das eigentlich durchaus eine dramaturgisch denkbare Volte gewesen.
„Bourne Legacy“ wählt aber eine andere Abzweigung: Bourne wird in eine Art subalterne Parallelkonspiration verschoben, auf die nur noch im Modus des Cameo Bezug genommen wird. Denn das eigentlich zentrale CIA-Geheimprogramm, für das Bourne mit seiner Selbsterkenntnismelancholie ein zu altmodischer Agententypus gewesen wäre, manipuliert seine Probanden gleich auf DNA-Ebene.
„Outcome“ ist der Name dieser Operation, für die Agent Cross einst aus freien Stück gezeichnet hat. Man muss dann blaue und grüne Pillen schlucken, die nicht nur die physischen, sondern auch die kognitiven Fähigkeiten durch genetische Manipulation erweitern. Cross merkt an einer Stelle gegenüber seiner ganz persönlichen Ärztin Dr. Martha Schearing (Rachel Weisz) an, dass ihm das entgegengekommen sei, weil sein natürlicher Intelligenzquotient nur mit Ach und Krach für eine Aufnahme in den Elitekorpus der CIA gereicht hätte.
Edward Norton als ausgezeichneter Fiesling
Als das Programm von einem Situation-Room-Fiesling, den Edward Norton in wenigen Halbdunkelauftritten mit präzise ausgestanzten Gesten und Sätzen bemerkenswert effektiv in den Film stellt, abgewickelt werden soll, ist Renner wegen der zu erwartenden intellektuellen Degeneration natürlich nicht erfreut.
Regisseur Gilroy ist kein sonderlich begabter Kinetiker; insbesondere die lange Schlusssequenz sieht eher hilflos als bewusst prädigital inszeniert aus. Die Set Pieces, die in Innenräumen spielen – zwei exzellent aufgebaute Shoot-out-Sequenzen in einem Labor und einem heruntergewirtschafteten Holzhaus – sind aber auch rein actionästhetisch absolut auf der Höhe der Vorgänger.
Bei Matt Damons Bourne waren die Actionsequenzen noch als globale Suchbewegung zu einem verschütteten Ichkern zu entschlüsseln. Renners Cooper weiß hingegen sehr genau, wer er war, nämlich jemand nicht ganz so Schlaues. Aber auch er ist klug genug, vor jenem Apparat zu flüchten, der ihn einst formte.