Filmzensur in Ägypten: Tod am Nil
Das Vorführverbot des Kurzfilms „The Last Miracle“ beim Filmfestival El Gouna ist nur das jüngste Beispiel für kulturpolitische Zensur in Ägypten.
Vor Kurzem mussten Zuschauer beim Filmfestival El Gouna in Ägypten erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass der Eröffnungsfilm „The Last Miracle“ ohne Angaben von Gründen durch ein anderes Werk ersetzt wurde. Es gab Hinweise, dass die staatliche Zensurbehörde dem Film die Genehmigung zur Vorführung verweigert hatte.
„Was hier geschieht, ist ein Zeichen für die vermehrte Einschränkung der künstlerischen Kreativität in Ägypten. Obwohl es Zensur schon seit Jahrzehnten gibt, erleben wir derzeit eine ihrer härtesten Phasen“, so der ägyptische Filmkritiker Hossam Fahmy gegenüber der taz.
„Das letzte Wunder“ ist ein Kurzfilm nach einer Erzählung des ägyptischen Nobelpreisträgers Nagib Mahfus. Er erzählt die Geschichte eines unbekannten Journalisten, der einen Anruf von einem Sufi erhält, der ihm mitteilt, dass er „der Auserwählte“ sei. Er glaubt das und fordert Leute auf, ihm zu folgen, um anschließend herauszufinden, dass es sich um einen Streich handelte, der ihn zur Zielscheibe allgemeinen Spotts macht.
Drehbuch-Genehmigung eingeholt
Die Filmemacher hatten die Genehmigung der Zensur für das Drehbuch eingeholt, wie es das Gesetz vorschreibt, dennoch wurde ihnen die Vorführung verweigert. Im August wurde dem Filmdrama „The Atheist“ die Vorführung verwehrt. Seinen Machern zufolge handelt es von religiösem Extremismus und Atheismus.
Offizielle Regierungsstellen äußerten sich nicht zum Verbot, obwohl auch dieses Werk die erforderlichen Genehmigungen erhalten hatte. Vor Kurzem teilte die Justizbehörde mit, dass für die Filmvorführung eine „Genehmigung von Al-Azhar“, der höchsten islamischen Instanz in Ägypten, erforderlich sei, da sein Inhalt „atheistische Ansichten fördert und Religionen verunglimpft“, was gesetzeswidrig sei.
Um die Vorführerlaubnis für Filme in Ägypten zu erhalten, ist vorgeschrieben, dass Werke nichts andeuten dürfen, was religiöse, geistige oder moralische Werte der Gemeinschaft oder die öffentliche Ordnung verletzen könnte. Mit anderen Worten: Religiöse, politische und sexuelle Tabus müssen vermieden werden.
Sinnbild für die gesamte Lage
„Die erdrückende Zensur des künstlerischen Schaffens lässt sich von der Lage im Land seit der Machtübernahme durch Präsident Sisi 2014 nicht trennen“, sagt Fatima Serag, Leiterin der Rechtsabteilung der Vereinigung für Gedanken- und Meinungsfreiheit, der taz.
Das bevölkerungsreichste arabische Land schneidet bei den Indikatoren für Pressefreiheit, Demokratie, Justiz und akademische Lehrfreiheit äußerst schlecht ab. Tausende sitzen seit Jahren aufgrund fadenscheiniger politischer Anschuldigungen ohne Gerichtsverfahren in Haft.
Serag weist darauf hin, dass Sicherheitsaspekte und politische Erwägungen die Zensur bestimmen und dass selbst der begrenzte Spielraum für die Meinungsäußerung, der während der Ära von Präsident Mubarak bestand, nur noch schwer zu erreichen sei. „Filmemacher und Dramaturgen sind gezwungen, vulgäre Szenen über Patriotismus und den Fortschritt des Staates in ihre künstlerischen Werke einzufügen, um Zensur zu umgehen. Was wir jetzt erleben, ist beispiellos“, sagt Serag.
Ohne Nennung von Gründen
2016 war der Film „Die letzten Tage der Stadt“ von der Vorführung beim Filmfestival Kairo ausgeschlossen worden, und die Zensurbehörde verweigerte ihm eine Lizenz zur Aufführung, obwohl sie das Drehbuch zuvor genehmigt hatte. Wie üblich ohne Nennung von Gründen, es gab jedoch Hinweise, dass die politischen Untertöne des Films zu einer Entscheidung geführt hatten, die eine Aufführung im Land verhinderte.
Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich 2017 mit dem Film „The Nile Hilton Incident“, der die Polizeikorruption in Ägypten vor der Revolution am 25. Januar 2011 thematisiert. Filmkritiker Mohamed Awad äußert gegenüber der taz, dass die Gründe für das Verbot bestimmter künstlerischer Werke neben den bekannten Tabus auch willkürlich sein können.
Er erklärt: „Die Zensur von künstlerischen Produktionen in Ägypten unterliegt eher Launen als festen Regeln. Es kann vorkommen, dass jemand einen Film als Herausforderung für die gesellschaftlichen Werte, die nationale Sicherheit oder andere vage Vorstellungen ansieht und einfach beschließt, seine Vorführung zu verhindern. Manchmal ist es auch nur ein Missverständnis, das zum Verbot eines Werks führt.“
„Dies schränkt nicht nur die künstlerische Kreativität ein, sondern führt auch dazu, dass entstellte künstlerische Werke geschaffen werden, die weder die Realität noch die Sorgen der Menschen widerspiegeln, nur um die Zensur zu umgehen. Außerdem zerstört es Generationen von Künstlern, deren Karrieren ruiniert werden, wenn ihre Arbeit verboten wird“, sagt Fahmy der taz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär