■ Filmstarts a la carte: Mit der Balalaika in Mexiko
Es begab sich im Jahre 1929, daß Sergej Eisenstein gemeinsam mit seinem Kameramann Eduard Tissé und dem Assistenten Grigori Alexandrow die UdSSR für eine Dienstreise ins westliche Ausland verließ, um sich mit Intellektuellen in aller Welt auszutauschen und die neue Technik des Tonfilms kennenzulernen. Filmprojekte in Hollywood zerschlugen sich, aber mit Hilfe des Schriftstellers Upton Sinclair konnte die Finanzierung eines Filmes über Mexiko gesichert werden. Doch Eisenstein überzog die Drehpläne und das Budget – „Que viva México!“ blieb unvollendet. Das belichtete Filmmaterial – teils dokumentarisch, teils mit Spielhandlungen – ging in die USA, in die Eisenstein aufgrund einer fehlenden Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr einreisen konnte. In den folgenden Jahrzehnten wurde das Material zu immer neuen Lang- und Kurzfilmen zusammengestellt – je nach Intention geriet Eisensteins unvollendetes Werk wahlweise zum melodramatischen Abenteuer, zum dokumentarischen Lehrfilm oder zur filmhistorischen Rekonstruktion. Ende der siebziger Jahre erstellte Eisensteins Assistent Alexandrow in der UdSSR eben jene Schnittfassung, die jetzt zur Wiederaufführung gelangt. Dabei bemühte sich Alexandrow nach eigener Aussage, das Material anhand von Eisensteins Aufzeichnungen dessen Intentionen so getreu wie möglich entsprechend zu montieren. Doch auch Alexandrows Version enthält einige zeitbedingte Merkwürdigkeiten, allem voran eine äußerst unpassende Tanztee-Balalaikamusik. Und auch über den so sicher nicht vorgesehenen Kommentar ließe sich streiten. Faszinierend ist hingegen vor allem die fotografische Qualität des Materials, insbesondere in den dokumentarischen Sequenzen: streng kadrierte und komponierte Bilder von steinernen Monumenten und lebendigen Gesichtern, von Ritualen und Traditionen der Indianer, von bizarren Prozessionen und Fiestas. Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen, immer wieder triumphiert das Leben über den Tod.
„Que viva México! – Unter Mexikos Sonne“ 24.6.-30.6. im Moviemento 3
„Deine Kamera durchdringt die Gesichter, sofern keine (gewollte oder ungewollte) Mimik dazwischentritt.“ Robert Bresson, der diese Worte schrieb, arbeitete in seinen Filmen fast ausschließlich mit Laiendarstellern, denen er durch endlose Proben das „Spielen“ vor der Kamera austrieb – bis Gesten, Mimik und Intonation automatisch und ausdruckslos wurden. So schuf Bresson äKinematographen- Filmeô, die sich wahrlich radikal vom von ihm verachteten fotografierten Theater unterscheiden. Die Emotionen werden mit filmisch- technischen Mitteln erzeugt: Einstellungsgrößen, Kamerabewegungen, Schnitt. Bressons Stil ist präzise und unerbittlich – allerdings auch wenig unterhaltsam. Um falsche Erwartungen gar nicht erst aufkommen zu lassen, sahen sich die Produzenten von „Pickpocket“ (1959) veranlasst, den Zuschauern im Vorspann zu erläutern, daß es sich nicht um einen Kriminalfilm handle. Im Arsenal läuft „Pickpocket“ mit einer Einführung zum Thema 'Großaufnahme und Gesicht'.
„Pickpocket“ 28.6. im Arsenal
Nur ein Auftragsfilm, aber ein schöner Beitrag zum Thema Murphys Gesetz, demzufolge alles schiefgeht, was schiefgehen kann: Am Ende einer einzigen horriblen Nacht in New York (mit neurotischen Frauen, bizarren Künstlern und einem Lynchmob) möchte ein einsamer und ausgesprochen harmloser Programmierer (Griffin Dunne) in Martin Scorseses „Die Zeit nach Mitternacht“ô nur noch von seinem elektronischen Freund, dem Computer, angesprochen werden.
„Die Zeit nach Mitternacht“ 24.6., 26.6. im Filmkunsthaus Babylon
Lars Penning
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