■ Filmstarts a la carte: Sado-Maso ohne Raum-Zeit-Kontinuum
Eigentlich kennt man Alain Robbe-Grillet eher in literarischen Zirkeln: als exponiertesten Vertreter des Nouveau Roman sowie als ausgewiesenen Simone-de- Beauvoir-Hasser. Zudem ist seine wohl bedeutendste filmische Arbeit „Letztes Jahr in Marienbad“ (1961) heute weniger mit seinem, als viel stärker mit dem Namen des Regisseurs Alain Resnais verknüpft. Das war zur Zeit der Entstehung des Films noch anders: Da gaben Resnais und sein Autor Robbe-Grillet die Interviews oft gemeinsam, und das damals revolutionäre Werk wurde als Gemeinschaftsarbeit verstanden. Lässt sich in der Ästhetik von „Marienbad“ vieles auf Resnais zurückführen (etwa wenn die Kamera in gleicher Weise durch die Gänge des Schlosshotels gleitet wie in seiner Dokumentation „Toute la Mémoire du Monde“ (1956) durch die Räumlichkeiten der Nationalbibliothek in Paris), so stammte doch die eigentliche Konzeption von Robbe-Grillet: Die „Geschichte“ eines Mannes, der eine Frau davon zu überzeugen sucht, dass sie sich bereits im vorigen Jahr in einem jener mondänen Kurorte kennengelernt haben, wird nicht linear und „naturalistisch“ erzählt, sondern unter Aufgabe des Raum-Zeit-Kontinuums zu einem phantastischen Geflecht aus Imaginationen, Träumen, Erinnerungen und Obsessionen verwoben. Robbe-Grillets eigene Regiearbeiten funktionieren nach ähnlichen Prinzipien, stärker als in „Marienbad“ ist dort jedoch sein Hang zu Trivialem und zu sado- masochistischer Erotik zu erkennen – fast alle Filme sind letztlich ironische Sex- und-Crime-Stories: In „L'Immortelle“ trifft Jacques Doniol-Valcroze in Istanbul auf die geheimnisvolle Françoise Brion, die hinter den Mauern einer bewachten Villa scheinbar irgendwelchen unaussprechlichen Quälereien ausgesetzt ist (die man jedoch nie sieht), und in „Trans- Europ-Expess“ ist Jean-Louis Trintignant – teils als Drogenkurier, teils als er selbst – in eine kuriose Geschichte um Rauschgift, Kino und Vergewaltigung verwickelt. Eine kleine Werkschau mit Filmen Robbe-Grillets zeigt der Filmrauschpalast.
„Letztes Jahr in Marienbad“ 11.11.-12.11., 15.11.-17.11; „L'Immortelle“ (OF), „Trans- Europ-Express“ (OF) 13.11. im Filmrauschpalast
Zwar war sie erst kürzlich im TV zu bewundern, doch auch bei wiederholtem Ansehen bleibt Ullrich Kastens und Wolfgang Kohlhaases Dokumentation „Mein Leben ist so sündhaft lang“ über den berühmten jüdischen Romanisten Viktor Klemperer spannend und interessant. Die Regisseure stützen sich vornehmlich auf Klemperers scharfsinnige Tagebuchaufzeichnungen – so gelingt nicht nur das Portrait eines Menschen, der – weil zumeist „angepasst“ in der inneren Emigration lebend – am Ende „sein Leben als Verrat empfand“, sondern auch ein Blick auf den demütigenden Alltag eines durch eine sogenannte Mischehe leidlich „geschützten“ Juden im Dritten Reich: vom Autofahrverbot bis zur Verpflichtung zum Arbeitsdienst.
„Mein Leben ist so sündhaft lang – Viktor Klemperer, ein Chronist des Jahrhunderts“ 13.11.-14.11. in der Filmbühne am Steinplatz
Einem interessanten Vergleich kann man in der kommenden Woche nachgehen, wenn im Arsenal zwei Versionen von „Der Andere“ gezeigt werden. Der erste Film um die Geschichte eines Rechtsanwalts, der in Jekyll- und-Hyde-Manier als der „Andere“ an einem Einbruch beteiligt ist, entstand 1913 unter der Regie des heute nahezu vergessenen Filmpioniers Max Mack und erregte nicht unbeträchtliches Aufsehen, weil der berühmte Bühnendarsteller Albert Bassermann hier sein Filmdebüt gab. Das Remake drehte 1930 der „Caligari“-Regisseur Robert Wiene mit Fritz Kortner in der Rolle des Anwalts.
„Der Andere“ (Max Mack) 15.11.; „Der Andere“ (Robert Wiene) 16.11. im Arsenal
Lars Penning
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen