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■ Filmstarts à la carteSie möchten ihm was kraulen

Man hatte den Heimatfilm ja für mehr oder weniger begraben gehalten, da kam Fremdes Land Pa-isch. Zunächst vermutet man, hinter der ulkigen Road-Movie- Struktur stecke das bekannte Dilemma der deutschen Filmförderung: weil sie aus verschiedenen Ländern kommt, die dem Film vorschreiben, daß er dann auch das Geld im Lande ausgibt. Wes Geld ich beiß, des Lied ich – sing! Daher kam es, daß in deutschen Filmen ständig Zug gefahren und irgendwo angekommen wurde.

Hier ist es nun so, daß der Regisseur Rainer Simon Disparates zwar aneinandergereiht, aber nicht künstlich verfugt hat: Auf gar keinen Fall darf hier zusammenwachsen, was doch eigentlich zusammengehört. Alle Figuren schrappen haarscharf am Prototyp vorbei. Umberto ist ein Junge ohne Mundharmonika und zunächst auch ohne Maschine, ein kleiner River Phoenix des Ostens, wo es bleiche, liebe Mütter, doofe und dennoch handfeste Sozialarbeiterinnen und kleine schwarze Mädchen zu den Skinheads gibt. Die Frauen haben Umberto gern, möchten ihm was kraulen und ihm was beibringen, und als er eine Wette verloren hat, streicht er sich auch ganzkörperlich grün an. Beziehungslose Beziehungen sind das Ergebnis, etwas seltsam Leichtes, ein hakenschlagender Verlauf der Erzählung, so ein bißchen eine Ballade, wie Bob Dylan sie in seiner Sozialphase schrieb („As I went out one morning“). Im Verlauf verliert der Film auch seine anfängliche Scheu vor Opulenz und wartet mit wirklich satten Abendhimmeln auf, unter denen einer versucht, sich zwischen metallisch schimmernden Autotüren zu verstecken – weil ihm natürlich längst die Polente auf den Fersen ist. Das kleine schwarze Kind ist süß, aber nicht zu süß, die kleinen Strolche kommen nicht zurück, und daß die Zielgerade nach Afrika führt, ist irgendwie nur folgerichtig.

Ist's die Altersschwermut? Ist's, daß man mit den Jahren nachsichtig wird wie ein russisches Mütterlein: Ich kann partout an den diesjährigen Felix-Nominierungen nichts Falsches finden. Selten so einverstanden gewesen! Das Cinema Paris zeigt nun allen, die es noch einmal wissen wollen, die Kandidaten: Im Namen des Vaters, der hier interessanterweise als englischer Beitrag läuft (ein Film über die vier irischen Kids, die für ein Bombenattentat verhaftet und jahrelang in den britischen Knast gesperrt wurden, obwohl sie außer Kiffen und Blümchen-an-den-Hut-Stecken nix gemacht hatten), dann Kosh ba Kosh, ein Film, der ein gewisses Ostflair hat und sich hauptsächlich in einer Gondel abspielt, dann die beiden, die ich auch nominiert hätte, wenn Sie das interessiert: also Le Fils du requin, ein desaströses und wunderschön regennasses Porträt zweier französischer Kinder-Terroristen, und Lamerica, Gianni Amelios Fahrt zur Hölle nach Armenien, ein Untergang im kompletten, staatenlosen Chaos und die versuchte Rückkehr nach Italien. Wenn es nicht so furchtbar schnöselig wäre, würde man sagen: Stilistisch eine Art „gereifter Neorealismus“, aber eben mit einem Hauch Polanski. Schließlich die Sache mit dem Schminkkoffer: Priscilla, Queen of the Desert, der ja nun auch in anderen Kinos zu sehen ist. Die Überlegung, ob es einem Film nützt, den Felix zu bekommen, ist erlaubt.

Den Dokumentarfilm auf der Flucht vor sich selbst kann man am Sonntag im Steinplatz-Kino sehen, wo nämlich Marcel Ophuls'Le Chagrin et la pitie gezeigt wird. Daß es sich um ein Spinnennetz von Denunziation, Konspiration, Stadtguerilla etc. handelt, ist bekannt – es ist aber ein Fehler, vor lauter Schreck nicht auf die Struktur des Dings zu achten. Ophuls vertritt die nicht ganz unberechtigte Auffassung, daß es wichtig ist, ab und an zu lachen.mn

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