■ Filmstarts à la carte: Citizen Kerr trifft Citizen Donat
Im Angelsächsischen erfreut sich das Konzept vom „Perfect Stranger“ aus irgendeinem merkwürdigen Grunde viel größerer Beliebtheit als bei uns. Den Fremden im Zug, denen du ungefragt dein Leben erzählst; dem geheimnisvollen Nachbarn, vom dem man nichts weiß, als daß er nachts zu lesen liebt, oder der Frau, die an derselben obskuren Stelle von „Blue Velvet“ lachen muß – irgendwie sind diese Figuren dort drüben geläufiger und aufgeladener als bei uns, wo man eher feiert, daß man sich schon seit Jahrtausenden zu kennen glaubt (was ja auch nicht unapart ist).
In diesem weitschweifigen Sinne sei also auf Perfect Strangers hingewiesen, einen Film von Alexander Korda aus dem zur Zeit häufiger anzutreffenden Filmjahr 1945 mit Robert Donat und Deborah Kerr. Der Film hatte schon zu Lebzeiten eine seltsam museale Patina angesetzt, und so fügt es sich nur gut und richtig, daß er im Zeughauskino vorgeführt wird. Es geht um einen jungen Arbeiter und sein Vorstadt-Mädchen, das irgendwann einmal aus Versehen seine Frau geworden ist. Beide sind ein bißchen spröd, so daß es ihnen absolut zugute kommt, in die Royal Navy eingezogen zu werden. Denn während er plötzlich ziemlich proper in seiner Uniform einherschnuckelt, kauft sie sich Lippenstift und riskiert schon mal ein Tänzchen. Die Sache läuft dann ein wenig Schema-F-artig, aber solche Schemata haben ihr Gutes und ihr Beruhigendes: Donat wird schick, Kerr wird schick, Donat tanzt, Kerr tanzt, Donat lästert über Kerr bei seinen Freunden, dann sieht man, wie sie bei ihren Freundinnen über Donat herzieht und so fort. Trotzdem hat es was Betrübliches, festzustellen, daß die Stunde, wo sie nichts voneinander wußten, ihre beste war. Alles, was sie dann bindet, ist ihr Citizenship: Citizen Donat trifft Citizen Kerr.
Ebenfalls im Zeughauskino werden der Münchner Filmwissenschaftler Enno Patalas und seine Berliner Kollegin Oksana Bulgakowa eine Reihe mit Stalin- Filmen vorstellen, in denen der Diktator als Telos der Sowjetgeschichte präsentiert wird, als das Ziel allen Geschichtstreibens und Ausgangspunkt der Zukunft. Unter ständiger Aufsicht der Behörden mußten die Filme jedem Wechsel der Linie, jedem In-Ungnade-Fallen der Genossen Rechnung tragen und sind entsprechend dramaturgisches Flickwerk.
Wie genau es sich so als Palästinenser unter Besatzung lebte, weiß man in der Regel bestenfalls aus Berichten, die vom Jeep aus gefilmt sind und entsprechend wenig Profundes zu bieten vermögen. Vor der Intifada gab es in Gaza drei Kinos, die während des Aufstands geschlossen waren. Palästinenser sehen sich also selten im Kino. Der Regisseur Rashid Marawi, ursprünglich Kunstmaler, hat mit seinem Film Curfew versucht, ihre Ansprüche ebenso zu bedienen wie die des europäischen Publikums, auf dessen Fernsehkanälen der Film zuerst lief (Arte, WDR und Avro haben ihn produziert). So führt beispielsweise ein Brief in die Geschichte ein, den ein nach Deutschland emigrierter Sohn an seine Familie geschickt hat. Sie versammeln sich im Hof, um ihn zu lesen. Viel mehr als der Hof bleibt ihnen nicht: es ist Ausgangssperre. Ausgangssperre bedeutet, daß wichtigste Kulturtechniken verkümmern; keine Schule, kein Plausch auf der Straße, das Gemüse verdorrt auf den Lastwagen, weil es nicht rausgefahren werden kann, die jungen Kerle fangen an zu trinken, und einer Schwangeren stirbt das Kind, weil sie nicht ins Krankenhaus kann. Die Klaustrophobie der Situation wird ebenso deutlich wie die Unterschiede zwischen den einzelnen. Eine der islamischen Frauen weiß zu ihrer Freundin zu bemerken: Für uns ist immer Ausgangssperre.mn
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