■ Filmstarts à la carte: Ruinen, Schwarzmarkt und Zynismus
Ein Toter dümpelt in der schönen blauen Donau, dazu verkündet eine joviale Erzählerstimme lakonisch, daß der Schwarzmarkt im Nachkriegs-Wien eben nichts für Amateure sei – und schon befindet man sich mitten in einem Thriller, der es wie kein zweiter versteht, aus einem Zeit- und Lokalkolorit Kapital zu schlagen.
Der britische Regisseur Carol Reed drehte „Der dritte Mann“ 1949 an Originalschauplätzen im zerbombten und besetzten Wien; gekonnt verbindet der Film Thriller, Melodram und schwarze Komödie. Exzellent getroffen ist vor allem die Atmosphäre in der zerstörten Stadt: die vielen verschiedenen Sprachen, die Wurzellosigkeit der Menschen, ihre kleinen und großen Schiebereien, das Irgendwie-durchkommen-Wollen.
Die Hauptrolle – den etwas unbedarften Groschenromanautor Holly Martins, der den vermeintlichen Unfalltod seines Freundes Harry aufklären will – spielt Joseph Cotten, doch der Star des Films – obgleich nur eine knappe Viertelstunde lang zu sehen – ist zweifellos Orson Welles als Penicillinschieber Harry Lime. Unvergessen bleibt die spannende Verfolgungsjagd in den Abwasserkanälen; lieber noch ist mir jedoch sein erster Auftritt: In einem dunklen Hauseingang sieht man zunächst nur seine Beine, um die die Katze („Sie mag nur Harry“) seiner Geliebten streicht.
Dann fällt Licht aus einem gegenüberliegenden Fenster auf sein Gesicht; einen kurzen Moment lang offenbart sich der Totgeglaubte den Blicken des überraschten Holly Martins – mit dem wohl spitzbübischsten Lächeln der Filmgeschichte. Später wird Lime seine Schurkereien mit denkwürdigem Zynismus rechtfertigen: „In den dreißiger Jahren unter den Borgias hat es nur Krieg gegeben, Terror, Mord und Blut. Aber dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe; 500 Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon: die Kuckucksuhr.“
Bevor er die Rolle des Harry Lime in der britischen Produktion „Der dritte Mann“ annahm, hatte Orson Welles mit einem selbstinszenierten Film in Hollywood wieder einmal einen Skandal ausgelöst. Zunächst ließ er seiner damaligen Ehefrau Rita Hayworth – nicht zuletzt wegen ihrer schönen roten Mähne die Glamourgöttin der Columbia – die Haare kurzschneiden und blond färben. Sodann mußte die Göttergattin als „Die Lady von Shanghai“ ein ziemlich fieses Miststück spielen – das vom tyrannischen Studioboss Harry Cohn sorgsam gepflegte Image des Stars ging perdu.
Als Vorlage für die „Lady“ diente Welles ein billiger Krimi, das Drehbuch schrieb er noch während der Dreharbeiten ständig um: Eine gewisse Konfusion in der Geschichte um eine Mordintrige ist nicht zu verleugnen. Daß Welles fast zwei Jahre am Schnitt arbeitete, ehe man ihm den Film schließlich wegnahm, trug auch nicht eben zum besseren Verständnis bei. Geblieben ist ein alptraumhafter Thriller im Stil des Film noir, mit einer der besten Sequenzen, die Welles je inszenierte: Am Ende erschießen sich die Hayworth und ihr Filmgatte Everett Sloane im Spiegelkabinett eines Vergnügungsparks, verwirrt und geblendet von den vielfachen Verzerrungen ihrer Spiegelbilder.
Und noch einmal zurück zu Carol Reed. Die Zusammenarbeit des Regisseurs mit dem Romancier Graham Greene, die im „Dritten Mann“ gipfelte und Ende der fünfziger Jahre in „Unser Mann in Havanna“ eine amüsante Coda fand, hatte bereits 1946 mit dem Film „Odd Man Out (Ausgestoßen)“ begonnen.
Erzählt wird von der Odyssee eines IRA-Mitglieds durch das nächtliche, nebelige Belfast auf der Flucht vor der Polizei. Greene und Reed interessiert dabei jedoch weniger die politische Dimension des Stoffes, vielmehr gestalten sie eine Studie der Einsamkeit im Stile des poetischen Realismus, vergleichbar etwa den Filmen von Carné und Prévert.Lars Penning
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