■ Filmstarts à la carte: Fritz Lang im Sturmgepäck
Während sich Martin Walser ja noch vor kurzem nicht einmal fragen dürfte, ob er denn so glücklich mit der deutschen Teilung sei, geht das Eiszeit nun ganz forsch her und behauptet unter dem Titel „Deutsche im Ausland Ausländer in Deutschland“ womöglich könne das Ausländersein hier und überall gar keine Frage von Staatsgrenzen sein. Das alte Rein- raus-Spiel, hier nun im Filmpaket, zusammengestellt nach Lust & Laune. So disparates wie Cabaret einerseits und Herrenpartie von Wolfgang Staudte andererseits oder Ein Mann will nach Deutschland von Paul Wegener aus dem Jahr 1934 ist dabei; ein „Archivprogramm Deutsche im Ausland ist zu sehen, bei dem mit dem Adler-Automobil durch deutsches Kolonialland gefahren wird oder bei dem Staatssekretär Solf in Togo Helden unserer Zeit besucht, Arbeiter heute, die mit KdF auf Urlaub sind. Zwar hat die Reihe einen leichten Trend zur Kolonialismuskritik, die man ja wohl zumindest mal für die Gegenwart neu formulieren müßte (wer Neckermann mit Kraft durch Freude verwechselt, soll sein Schuldgeld zurückgeben, nicht über Los gehen, keine 4.000 Mark einziehen und unmittelbar bis zum Opernplatz vorrücken). Aber trotzdem sind gerade diese Archivfilme von 1942 bis 44 hochinteressant (im ersten Programm geht es um französische Fremdarbeiter in Berlin).
In den frühen Cahiers du Cinéma schrieb der Dokumentarist Chris Marker 1951: Das deutsche Kino liegt in Ketten. Diese Verschwörung des Schweigens ist nicht das einzige Übel, an dem es leidet. Es teilt die Mängel des Weltkinos: Zensur, Krise der Sujets, und zieht sich andere, eher persönliche zu: die Konfusion der Werte, das Erbe des Expressionismus, die Unkultur des Publikums, das nahezu völlige Fehlen einer aufmerksamen Filmkritik, den Schuldkomplex, die Fehleinschätzungen hinsichtlich der eigenen Kompetenzen (...). Unter den Kerkermeistern, die es an der Kette halten, spielen die Okkupationsmächte ihre Rolle, weniger durch direkte Intervention als durch die Konsequenzen der Situation, die sie schaffen.“
Das Zeughaus-Kino stellt sich die nicht uninteressante Frage, welche Filme es waren, die den Besatzern geeignet erschienen, zu entnazifizieren und zu erbauen. Dabei ist ein kauziges Gemisch aus deutschem Unterhaltungsfilm, russischen Filmen zwischen Agit-Prop und ebenfalls leichter Muse sowie eine gute Portion Wochenschauen entstanden. Über Die Mörder sind unter uns, den ersten deutschen Trümmerfilm, der sich mit der Nazi-Vergangenheit überhaupt befassen wollte, schrieb Marker: „Ich erinnere mich meiner Bewegung, als ich Die Mörder sah, angesichts der faszinierenden Ähnlichkeit des Helden, Mertens, mit der Figur des Todes in Der müde Tod von Fritz Lang – eine Figur, die die gleichen Sachen sagte: ,Ich kann nichts machen ... Ich habe nur den Befehlen von oben gehorcht. Meine Handlungen bereiten mir Schrecken, aber ich muß gehorchen.“ Das Unheimliche als Sturmgepäck auch noch aus den Zeiten des Expressionismus klingt hier an – und soll einen wohl auch im Zeughaus-Kino ein bißchen schütteln.
Zwar kommt auf unseren heutigen Kinoseiten Hal Hartleys neuer Film Amateur nicht so rasend gut weg, aber er empfiehlt sich doch dringend, vor allem wegen der Szene, wo sie schließlich alle, die ganze neurotische Bande aus Ex-Nonne, Gedächtnisschwundler und Gangstern, im Kloster landen. Die arme Äbtissin hat mit stoischer Ruhe alles angesehen und gehört, kommt um die Ecke und sieht Damian Young auf der Bank und fragt nur noch: „What's his problem?“ So möchte man doch, daß zu einem gesprochen wird. mn
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