■ Filmstarts à la carte: Hitzewallungen und so weiter
Irgendwie paßt es, daß das Arsenal diesen Monat Marcel Ophuls einerseits und der amerikanischen Avantgardefilmerin Yvonne Rainer andererseits gewidmet hat. Beide machen, was Rainer „Talking Pictures“ nennt, ein idiosynkratisches, extrem belustigendes Konstrukt, in dem Fiktionales zum Dokument und das klassisch Dokumentarische zum reinen Märchenstoff wird. Ist das Gravitationszentrum bei Marcel Ophuls aber Marcel Ophuls, so ist es bei Ivonne Rainer ein unklar umschriebenes, angenehm frei changierendes „Frauending“. Sagt die eine zur anderen: „Well, wouldn't ya know, turning forty, after all these years, I finally got my head together and my ass falls apart?“ Es geht, wie manche von uns schon ahnen, um die Menopause, „aber“ auf die denkbar intelligenteste Art. New Yorkerinnen sprechen über ihre Hitzewallungen. Die Sprechweisen sind sämtlich künstlich, mehr „Sprachakt“, so was Ähnliches wie die Barbara-Krugers-Sprüche, von denen ebenfalls nicht vollständig zu klären ist, wo sie herkommen, obwohl man weiß, wofür ihr Herz schlägt. Die Sprache steht ihnen nicht zur Verfügung – wie man an einer Taubstummenlehrerin sieht, die einen von Rainer selbst gelesenen Text „übersetzt“ –, sondern konstruiert sie. Ihr Anliegen muß sich zwischen den Zeilen hindurchmogeln oder im Spiel zutage treten. Die Erzählung einer der Protagonistinnen, einer ehemaligen weißen Tänzerin, wird nachgespielt. Sie verwickelt einen Schwarzen, eine Latina, eine Lesbe, einen Latino und einen Yuppie in eine New-York-Story, typisch Lower East Side, wo eben mitunter noch alle zusammenkommen. Ein Lehrstück ohne Lehrer und ohne klare Lehre, fantastisch, wie die Rainer die Chose in der Schwebe hält. Es dauert nicht lange, da bilden sich heftigst umkämpfte Koalitionen entlang aller nur denkbaren Linien: Klasse, Rasse, Geschlecht, Alter. Über die Gesichter und Filmausschnitte aus Spielfilmen, die durchaus ein unpädagogisches Eigenleben führen, laufen Texte von Franz Fanon, Michele Wallace und anderen.
Im Zeughaus-Kino: Filmemacher sehen den Osten. Was sich bei der letzten Berlinale schon als Trend abzeichnete, hier wird es endgültig Gewißheit: Nach der Wende ist einiges entstanden, dessen Umgang mit der deutschen Geschichte man wohlwollend als „sorglos“ bezeichnen könnte. In Viola Stephans Film Slask/Schlesien fährt die Kamera mit einem scheelen Seitenblick auf einen polnischen Grenzer ins Land ein, wo man auffällig häufig Menschen sich umziehen sieht: Trachten, Uniformen, Hütchen. Ein Blasorchester, ein Damenchor. Kommt bei mir an als: Die Systeme mögen sich ändern, aber diese netten Menschen sind immer ihr einfaches gutes Selbst geblieben (so was Ähnliches meint Margarethe von Trotta in „Das Versprechen“ ja auch). Lädierte Industrielandschaft, intakte Hügelkette = „polnische Wirtschaft“ und deutsche Heimat? Pawel Schnabel hat in Böhmen ganz Ähnliches gefunden: Was, mit den Deutschen? Sind wir immer gut ausgekommen! Man sieht, auch bei Volker Koepp, haufenweise unschuldige Details, Kochrezepte, Ausflugsziele, Limonadensorten. Rostige Bilder hingegen beschäftigt sich ganz bewußt nur mit dem Umschlag von Natur in Zerfall in Kunst; Manfred Wilhelms folgt dem Maler Fritz Kreidt auf einer Tour durch diese drei Stadien und beobachtet die Entstehung einer Reihe von Fotografien und Landschaftsporträts. Anders funktioniert auch der höchst empfehlenswerte Das industrielle Gartenreich von Bolbrinker/Herold über die Landschaft um Dessau herum, ein im Bauhaus-Stil gefilmtes Porträt verschiedener Landschafts- und damit auch Lebensentwürfe, das eben um die Geschichtlichkeit dieser Konstrukte weiß.
mn
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