■ Filmstarts à la carte: Der irrsinnige, alltägliche Wahnsinn
Einer der interessantesten Forumsbeiträge der diesjährigen Berlinale hat jetzt den langen Weg von Japan bis ins fsk-Kino gefunden: Okaeri, das Regiedebüt von Makoto Shinozaki, ist ein ruhiger, bewegender Film über den Alltag, die Liebe und den Wahnsinn – der schon in der ersten Szene heimtückisch lauert: Ernst und konzentriert arbeitet die junge Yuriko zu Hause an der Transkription eines Tonbands. Nur wenig später wird sich herausstellen, daß ihre Arbeit ganz umsonst war, da sie ihren Computer nicht angeschlossen hatte: kein technischer Lapsus, sondern ein erstes Anzeichen für Yurikos beginnende Geisteskrankheit.
Ihren Ehemann sieht sie nur selten: Takahashi arbeitet viel und kommt meist spät nach Hause. Gelegentlich versetzt er die mit dem Abendessen wartende Gattin, um mit einem Kollegen in die Kneipe zu gehen. Nach nur drei Jahren Ehe hat sich bereits eine lähmende Routine in die Beziehung des Paares eingeschlichen; man lebt eher nebeneinander als miteinander.
Regisseur Shinozaki betont in seiner Inszenierung des Alltäglichen immer wieder auch die räumliche Distanz zwischen den Protagonisten: Da gibt es keine Intimitäten, keine vertrauten Gesten. Als Yuriko ihrem Mann einmal eine Reihe von gebrochenen Versprechen zum Vorwurf macht, zerschneidet ein massiver Pfeiler die Einstellung in zwei Hälften und scheint die beiden endgültig voneinander trennen zu wollen.
Immer stärker macht sich in der tristen Normalität jedoch eine gewisse Irritation breit: Zu oft und zu lange starrt Yuriko jetzt aus dem Fenster, und immer häufiger spaziert sie scheinbar ziellos umher.
Eines Tages sprudelt die Erklärung aus der stillen Frau geradezu hervor: Mit ihren „Patrouillegängen“ wehrt sie sich gegen die Bedrohung durch eine geheimnisvolle Organisation, die überall in der Stadt Botschaften mit Geheimfarbe anbringt, millimeterweise Namensschildchen an den Türen verrückt und falsche Polizisten mit dreieckigen Augen beschäftigt. Die Hilflosigkeit Takahashis angesichts der Krankheit seiner Frau kulminiert in einer nahezu zehnminütigen Sequenz, die Shinozaki in nur zwei Einstellungen gedreht hat: Während sich Yuriko in ihrer Angst, zu einem Arztbesuch genötigt zu werden, im Bad einschließt, sehen wir Takahashi vor der verschlossenen Tür bitten, betteln und toben.
Als er schließlich rat- und kraftlos zusammensinkt, ist es Yuriko, die ihn tröstet und in den Arm nimmt. Die willentliche Beschränkung in der Wahl der Stilmittel intensiviert diesen gefühlsbetonten Moment, der zum Wendepunkt in der Beziehung des Paares wird. Letztlich bleibt offen, ob die Protagonistin von ihrer Schizophrenie jemals vollständig geheilt werden kann – doch für das Paar Yuriko und Takahashi wird es sicher eine Zukunft geben: Die Schlußeinstellung zeigt beide in trauter Innigkeit gemeinsam im Bild.
Wem der Trip in die japanische Vorstadt zu asketisch erscheint, der mag vielleicht bei Singin' in the Rain aus dem vollen schöpfen; MGM, Technicolor, Musik und Tanz – sowie Gene Kelly, der ungekrönte König des amerikanischen Film-Musicals, der gemeinsam mit Stanley Donen auch für die Regie der innovativen Produktion verantwortlich zeichnete.
Kellys athletischer Tanzstil war oft von der Burleske oder dem Vaudeville inspiriert; mit Partnern wie dem clownesken Donald O'Connor und der damals noch recht burschikos wirkenden Debbie Reynolds war der Meister auf dem Höhepunkt seines Schaffens angelangt.
24., 26., 27. 10. im Notausgang
Lars Penning
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