■ Filmstarts à la carte: Das Ende des ewigen Sommers
„Brian Wilson war die Beach Boys.“ Die Aussage eines Zeitzeugen in Don Was' filmischem Porträt des genialen Musikers stimmt nur zur Hälfte. Denn Brian Wilsons Problem bestand gerade darin, daß es die Beach Boys Mitte der sechziger Jahre eigentlich zweimal gab.
Da war zum einen die Band der Liveauftritte: Brians Brüder Carl und Dennis sowie ein Cousin und ein Schulfreund. Dank ihres unermüdlichen Tourens durch die Konzerthallen der Welt wußten die Musiker genau, was beim Publikum ankam: Sommer, Sonne, Surfen, Mädchen und Autos – Teenager-Themen in jenem Happy-go-lucky-Sound, mit dem sie in den frühen Sechzigern den Nerv einer Generation getroffen hatten. Auf der anderen Seite stand Brian Wilson, der daheim komponierte, arrangierte und die Beach-Boys-Platten mit Studiomusikern produzierte, während die eigentliche Band nur noch ihren unübertroffenen Harmoniegesang beisteuerte. Vor allem aber hatte Brian den für alle Beteiligten so einträglichen „endless summer“ satt: Ärger mit den anderen Beach Boys gab es bereits bei den Aufnahmen zu seinem Meisterwerk „Pet Sounds“, einer Auseinandersetzung mit den Problemen des Erwachsenwerdens; das nächste Projekt „Smile“ blieb unvollendet. Die Folgen waren Apathie und verstärkter Drogenkonsum auf seiten Brian Wilsons – bis zum völligen Zusammenbruch in den siebziger Jahren.
Der Brian Wilson des Jahres 1994, der vor der Kamera am Klavier sitzt, gibt sich relativ locker und aufgeräumt, wenngleich man ihm die schweren Krisen durchaus ansehen kann: Eine Gesichtshälfte scheint als Folge des exzessiven Drogenmißbrauchs gelähmt wie nach einem Schlaganfall. Doch Wilson erzählt nicht ohne Witz und Selbstironie von den Zeiten, als er selbstmitleidig jahrelang das Schlafzimmer nicht verließ und seine „Denkprozesse völlig daneben abliefen“. Oder er berichtet von den berühmt-berüchtigten „prayer sessions“ der Beach Boys: „Damals beteten wir für ein Album, das es mit ,Rubber Soul‘ von den Beatles aufnehmen konnte. Wir verbanden ganz clever Gebet und Wettbewerbsgeist. Und es klappte: ,Pet Sounds‘ entstand sofort.“ Regisseur (und Plattenproduzent) Don Was hat mit „Brian Wilson – I Wasn't Made For These Times“ ein eher therapeutisches denn kritisches Werk geschaffen: Die Arbeit am Film und dem dazugehörigen Album mit Neuaufnahmen seiner alten Hits läßt Wilson offenbar aufblühen, seine Töchter Carnie und Wendy berichten über die wiedergefundene Beziehung zum Vater, und die Musikerkollegen von John Cale bis Linda Ronstadt erweisen sich als eine einzige Brian-Wilson-Appreciation-Society. Also alles wieder eitel Sonnenschein? Endless summer again? Nicht ganz, denn immer wieder schimmern in den Gesprächen auch Wilsons profunde Lebensängste durch. „Wie gut“, sagt seine ehemalige Frau Marilyn, „wenn man seine Gefühle mit Musik ausdrücken kann.“
Ob die Arbeit eines Regisseurs tatsächlich darin besteht, „hübsche Frauen hübsche Dinge machen zu lassen“, wie François Truffaut einst meinte, davon kann man sich jetzt in einer kleinen Retro seiner Filme im Notausgang überzeugen. Besonders erwähnenswert: der selten gespielte „La peau douce“, in dem Truffaut sein Prinzip einmal umkehrt. Die Frauen wirken sympathisch, weil Jean Desailly in seiner Rolle als Literaturkritiker Lachenay Dinge tut, die ihn ausgesprochen unsympathisch machen. So gewinnen die Frauen, allen voran die lebhafte Françoise Dorléac, erneut: ihre Emanzipation vom farb- und mutlosen Bourgeois Lachenay und unsere Zuneigung.
Lars Penning
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