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■ Filmstarts à la carteSchweinejagd im Studio

Im Jahr 1927 gelang F.W. Murnau ein kleines Kunststück: Inmitten des amerikanischen Studiosystems schuf der Regisseur mit „Sunrise“ einen deutschen Stummfilm. Die Erfolge von „Der letzte Mann“ und „Faust“ hatten Murnau bei der Fox „carte blanche“ beschert: Nicht nur, daß er deshalb seine langjährigen Mitarbeiter Carl Mayer (Drehbuch) sowie Rochus Gliese und Edgar Ulmer (Ausstattung) weiterbeschäftigen konnte, auch sonst erfüllte man ihm seine Wünsche nach Produktionsbedingungen, wie er sie aus der Heimat kannte. Selbst das Sujet war deutsch: „Sunrise“ beruht auf Hermann Sudermanns Novelle „Die Reise nach Tilsit“.

Darin wird ein braver Bauersmann von einer sündigen Verführerin aus der Stadt gedrängt, sein holdes blondes Weib zu beseitigen. Doch bei einer gemeinsamen Bootsfahrt bringt er es nicht über sich, sie zu ertränken. Allerdings erkennt die Gattin die böse Absicht – was dann doch einen gewissen Vertrauensverlust nach sich zieht.

Im Mittelpunkt des Films steht jedoch der Tag, den das Ehepaar anschließend in der großen Stadt verbringt. Während er erneut um ihre Liebe und ihr Vertrauen buhlt, werden einfache Dinge zum großen Abenteuer: etwa eine Fahrt mit der Straßenbahn, ein turbulenter Jahrmarkt oder die Jagd nach einem in der Tombola gewonnenen Ferkel.

Den Schienenstrang der Tram, den Rummelplatz, eine Kirche und sogar einen ganzen Wald ließ Murnau mit großem Aufwand im Studio nachbauen, um haargenau die von ihm gewünschten Kameraeinstellungen zu bekommen. Die Kamera beweist sich denn auch als äußerst beweglich: Selten wurde ein Stummfilm so mitreißend inszeniert.

Ein weiteres Werk Hermann Sudermanns, „Jons und Erdme“, schafft den Übergang zu einem anderen Filmschaffenden:

Victor Vicas verfilmte die Novelle 1959 als deutsch-italienische Koproduktion mit Giulietta Masina und Carl Raddatz in den Hauptrollen. Der russische Jude Vicas, der lange Zeit in Frankreich gelebt hatte und die amerikanische Staatsbürgerschaft besaß, gehört zweifellos zu den interessantesten – gleichwohl unbekanntesten – Regisseuren, die in den fünfziger Jahren in der Bundesrepublik Deutschland arbeiteten. Von Freitag bis Sonntag ergibt sich nunmehr die Möglichkeit, sechs seiner Spielfilme, einige Kurzfilme und eine Fernseharbeit in einer vom Filmhistoriker Peter Nau moderierten Reihe im Arsenal-Kino wiederzuentdecken.

Besonders beeindruckend: das düstere Melodram „Weg ohne Umkehr“ (1953). Ost-West-Konflikte, einsame Gewissensentscheidungen und Geheimdienstaktivitäten auf den nächtlichen Straßen Berlins – inmitten des kalten Krieges ohne ideologischen Nonsens vorgetragen von einem Ensemble, dessen exquisite Leistung vermuten läßt, daß Vicas' größtes Talent in einer einfühlsamen Führung seiner Schauspieler lag. So gut waren Ivan Desny, René Deltgen und Ruth Niehaus nie wieder.

Im „Lichtblick“ geht es revolutionär zu: Man beschäftigt sich dort mit lateinamerikanischen Freiheitskämpfern und ihren Bundesgenossen. Rudolfo S. Penas Film „Acteal – Strategie des Todes“, der als Videogroßprojektion präsentiert wird, dokumentiert die blutigen Ereignisse in der mexikanischen Provinz Chiapas, und in „Ernesto Che Guevara – das bolivianische Tagebuch“ rekonstruiert Regisseur Richard Dindo die letzten Tage des Revolutionsidols anhand von dessen Tagebucheintragungen sowie Berichten von Augenzeugen.

Lars Penning

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