Filmstarts à la carte: Schuld und Bühne
Seine größte Verachtung galt dem fotografierten Theater. Und damit meinte der französische Regisseur Robert Bresson keineswegs Aufzeichnungen von Bühnenaufführungen, sondern das Kino. Und das war für ihn eigentlich so ziemlich alles, was er nicht selbst gedreht hatte. Das große Problem des Kinos hatte Bresson in der Mischung von Wahrem und Falschem erkannt, in der - wie er in seinen „Notizen zum Kinematographen“ schrieb - „das Wahre das Falsche wieder hervortreten läßt [und] das Falsche verhindert, daß man das Wahre glaubt. Wenn ein Schauspieler die Angst vor dem Schiffbruch vortäuscht auf der Brücke eines echten Schiffes, das gebeutelt wird von einem echten Sturm, glauben wir weder an den Schauspieler noch an das Schiff noch an den Sturm.“ Konsequent verwendete Bresson seit seinem dritten Spielfilm „Das Tagebuch eines Landpfarrers“ (1950) deshalb keine professionellen Schauspieler mehr, sondern arbeitete mit von ihm „Modelle“ genannten Laien, denen er durch endlose Wiederholungen die Neigung zum Schauspielen austrieb, bis ihre Mimik und Intonation den gewünschten Grad an Automatismus und Ausdruckslosigkeit erreicht hatten. Emotionen erzeugte Bresson allein mit filmisch- technischen Mitteln; selbst die Verwendung von Musik als „Unterstützung“ empfand der Regisseur als unehrenhaft. Die ihnen eigene Radikalität machen Bressons Filme unverwechselbar, jedoch auch ein wenig spröde. Das gilt auch für die zentralen Themen des Regisseurs: Moral, Schuld und Sühne im weitesten Sinne, oftmals abgehandelt an Stoffen mit religiösen oder kriminalistischen Inhalten. Das Filmkunsthaus Babylon eröffnet seine Retrospektive von zwölf der dreizehn Spielfilme des kürzlich verstorbenen Monomanen am Freitag mit „Das Geld“ aus dem Jahr 1983: einer unerbittlichen Studie über den schnöden Mammon und seine Zirkulation, über Arm und Reich, und über die bitteren Konsequenzen, die ein Lastwagenfahrer zu tragen hat, als ihm einige „Blüten“ untergeschoben werden. Ebenfalls höchst interessant: „Lancelot du Lac“ (1974), Bressons Bearbeitung der Geschichte von den Rittern der Tafelrunde und ihrer Suche nach dem heiligen Gral. „Lancelot“ dokumentiert den Verfall: kein fröhliches buntes Schlachtengetümmel, sondern ein ziemlich brutaler Film über brutale Menschen, die den spirituellen Sinn ihrer Suche längst aus den Augen verloren haben.
„L‘argent“ (Das Geld) OmeU 7.1.-8.1.; „Lancelot du Lac“ OmeU 9.1.; Bresson- Retrospektive bis 23.1. im Filmkunsthaus Babylon
Nicht weniger wichtig: die umfangreiche Reihe „Meisterwerke des japanischen Kinos“, die das Arsenal noch bis Ende Februar zeigt. Dazu gehört natürlich auch der 1950 entstandene erste abendfüllende Farbfilm Japans „Karumen kokyo ni kaeru“ (Carmen kehrt in die Heimat zurück). Die musikalische Satire auf den Verfall der Sitten und die Amerikanisierung der japanischen Gesellschaft nach dem zweiten Weltkrieg erzählt die Geschichte einer Striptease-Tänzerin, die gemeinsam mit einer Kollegin Urlaub in ihrem Heimatdorf macht und die beschauliche, traditionelle Welt des provinziellen Örtchens gehörig durcheinanderwirbelt. Farblich lebt der Film des Regisseurs Keisuke Kinoshita vom Kontrast der gedeckten Grün- und Brauntöne des Spätsommers in einer ländlichen Gegend am Fuße eines Vulkans mit den grellen Rots und Gelbs der Kleider der ebenso schrillen Ladies. Allerdings stellte die Farbgestaltung die Crew vor nicht unbeträchtliche Probleme: Wie sich Hauptdarstellerin Hideko Takamine erinnerte, verwelkte das Laub bei den Dreharbeiten Anfang September derart rasch, dass die Bäume zum Teil mit grüner Farbe besprüht werden mussten. Zudem war auch der Fujicolor- Umkehrfilm noch nicht völlig ausreift, was dazu führte, dass „Carmen“ fast ausschließlich aus Außenaufnahmen besteht. Allen Problemen zum Trotz durchzieht den Film eine durchweg heitere Stimmung: ein ernstes Thema in einer amüsanten, farbenfrohen Verpackung.
„Karumen kokyo ni kaeru“ 12.1. im Arsenal
Lars Penning
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