■ Filmstars à la carte: Emil ist nicht allein zu Haus
Die wahren Schreckgestalten des Kinos heißen weder Dracula noch Frankenstein. Der ultimative Horror verbirgt sich statt dessen hinter besonders harmlos klingenden Namen – wie etwa „Kevin“. Kein Mörder mit der Kettensäge könnte jemals mehr an den Nerven unschuldiger Zuschauer zerren als jene kleinen Monster, die uns insbesondere der amerikanische Film seit Jahrzehnten mit beispielloser Penetranz präsentiert: altkluge Gören. Um so erfreulicher, wenn im Kino mal wieder ein Werk auftaucht, in dem Kinder noch Kinder sein dürfen und nicht verhinderte Erwachsene mimen müssen. „Emil und die Detektive“ entstand 1931 nach dem Jugendroman von Erich Kästner als Film des späteren Kinemathek-Gründers Gerhard Lamprecht.
Glücklicherweise ist Emil nicht allein zu Haus, sondern verfolgt mit vielen neugewonnenen Freunden einen Dieb quer durch Berlin. Daß der Schurke dabei im Hotel Biedermann absteigt, nutzt ihm letztlich gar nichts. Das Drehbuch schrieb damals ein gewisser Billie Wilder, dessen garstiger Humor sich auch in diesem Frühwerk gelegentlich Bahn bricht. Kostprobe: „Wenn man in Berlin kein Geld hat, geht man auf die Bank und läßt sein Gehirn als Pfand dort und kriegt hundert Mark dafür.“ Der Film lebt vor allem vom unverbrauchten Spiel seiner kindlichen Hauptdarsteller, doch eine andere Attraktion bekommt man noch gratis dazu: die vielen historischen Aufnahmen von Berlin – aus einer Zeit, als das Stadtschloß noch stand und die Gedächtniskirche noch keine Ruine war.
Auch die Fachwelt staunte nicht schlecht, als vor einigen Jahren auf dem Stummfilmfestival von Pordenone die Filme des Charley Chase gezeigt wurden: Jahrzehntelang war der Komiker von der Bedeutung eines Keaton oder Chaplin schlicht und einfach vergessen worden. Seine amüsantesten Beiträge zur Filmgeschichte leistete Chase Mitte der zwanziger Jahre, als er gemeinsam mit dem Regisseur Leo McCarey in über 40 Kurzfilmen das Genre der „domestic comedy“ aus der Taufe hob. Meist verkörperte Chase einen jungen Mann der oberen Gesellschaftsschicht, dessen häusliche Probleme aus ganzen Serien peinlicher Zufälle und Mißverständnisse resultierten. Wie etwa in „His Wooden Wedding“, wo Charley voller Entsetzen vermutet, daß seine Braut ein Holzbein habe. Der Versuch, die Wahrheit zu ertasten, endet leider mit einem Splitter im Finger – und auch eine Aussprache mit der zukünftigen Gattin schlägt fehl, da sich Charley versehentlich mit einer Schneiderpuppe unterhält, der zu allem Überfluß auch noch das Bein abfällt.
Die Erwartungshaltungen seiner Mitmenschen bereiten Charley ebenfalls immer wieder große Probleme: In „Bad Boy“ möchte sein Vater aus ihm einen Schwerarbeiter in der elterlichen Fabrik machen, während seine Mutter ihn überredet, im Tüllröckchen an einer Ballettaufführung teilzunehmen. Die Freundin sähe ihn hingegen am liebsten als hartgesottenen Gangster. Charleys Versuche, es allen recht zu machen, sind natürlich ebenso erfolglos wie komisch. Erstaunlich ist vor allem die Eleganz, mit der McCarey diese kleinen Gesellschaftskomödien inszenierte, in denen Chase immer wieder als eine Art Cary Grant des Stummfilms brilliert.
Lars Penning
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