■ Filmfest: New York, Berlin, Tokio
Aus dem Leben eines gewissen Tageszeitungsjournalisten in diesen Filmfest-Tagen. Am Vormittag laufen Vorführungen für akkreditierte Gäste, für unsereins ein Segen, denn so kann man zwei Filme am Tag sehen, bevor man dann zwischen 14 und 15 Uhr schnell, schnell an den Schreibtisch sprintet, um seinen sonstigen Pflichten Genüge zu tun – Seite produzieren und so. Alles gut geregelt. Die Frage ist nur, ob wir die richtigen Vorführungen ausgewählt haben, und da bekommt man manchmal seine Zweifel.
Gestern vormittag zum Beispiel waren wir zuerst im Abaton, es lief Hal Hartleys Flirt. Der Film war schon in Ordnung, aber wahrscheinlich hätten wir doch ins Zeise zu Land And Freedom von Ken Loach gehen sollen, der zeitgleich lief. Loach erzählt darin, so berichtete ein Bekannter hinterher, sehr bewegend vom Spanischen Bürgerkrieg. Etwas tränendrüsig zwar, aber daß sich noch ein Filmemacher für die durchaus linke republikanische Bewegung in die Bresche werfe, das sei doch was.
Stimmt. Hal Hartleys Interesse in Flirt dagegen gilt dem Herzweh und Liebesleid, den Irrungen und Wirrungen im Emotionshaushalt moderner Großstadtbewohner. Die gleiche Episode wird dreimal hintereinander durchgespielt, an drei verschiedenen Orten: New York, Berlin, Tokio. Sehr heutig und sehr leicht kommt dabei diese kleine Spielerei daher. In New York und Berlin erscheint einem vieles bekannt, die Bars, die Lofts, die Hinterhöfe und auch die Menschen, die sie bevölkern. Meint man allesamt zu kennen, sei es aus dem Bekanntenkreis, sei es aus anderen Filmen, sei es von diesen Hochglanzfotos, die uns schon immer sagen wollten, wie wahrhaft hippe Menschen in Kreativberufen zu leben haben. Die Tokioter Episode hat dann einen anderen, fremderen Reiz. Hier sind die Figuren viel stilisierter, für westliche Augen fast roboterhaft. Ob es in Tokio wohl wirklich so aussieht?
Nach Flirt blieben wir dann nicht im Abaton sitzen, um Peter Schamonis Niki de Saint Phalle-Porträt zu studieren. Der Ausgewogenheit und auch interessehalber fuhren wir in die Zeise-Hallen. Daß wir dort den britischen Film Carrington sahen, das haben wir ganz und gar nicht bereut. Der Film erzählt eine Frauenbiografie aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts und vereint alles, was man an gegenwärtigen realistischen britischen Historienfilmen zu schätzen gelernt hat: überragende Darsteller (hier: Emma Thompson, vor allem aber Jonathan Pryce), sorgfältige Ausstattung und diesen unsentimentalen Blick auch auf sentimentale Geschichten. Der Theaterautor Christopher Hampton gibt mit Carrington sein Regiedebüt. Er gibt es so, daß es gar nichts ausmacht, wenn die Kopie, wie gestern, wieder fünfmal reißt.
Dirk Knipphals
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen