Filmemacher über Extremismus: "Das sind nicht nur Loser"

Der Autor und Regisseur Lars Becker über deutsche Islamisten, Parallelen zum Neonazi-Terror und den Abschied von Mehmet Kurtulus vom Hamburger "Tatort".

Hat am Sonntag seinen letzten Auftritt: Mehmet Kurtulus. Bild: NDR/Hannes Hubach

Herr Becker, deutsche Islamisten zu porträtieren – das ist im deutschen Fernsehen vermutlich nicht so ganz einfach?

Absolut nicht. Aber ich fand es spannend, den Akzent mal nicht so stark auf die Krimi-Handlung zu setzen, sondern sich auf die Figuren und das Thema zu konzentrieren. Und dabei endlich mit den Pauschal-Vorstellungen aufzuräumen, die vielen im Kopf rumspuken, wenn es um Islamismus geht und Leute, die sich ihm zuwenden oder sich radikalisieren. Da gibt es viele Parallelen zum aktuellen Entsetzen über den Neonazi-Terror, wo wir ja auch ganz verschiedene individuelle Hintergründe haben.

Die Hauptfigur Christian Marshall ist dabei ja zumindest von außen der Prototyp des "guten Deutschen": Hochintelligent, aus gutem Hause, smart..

ist Autor und Filmemacher und Mitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg. Becker erhielt 2011 bei der Verleihung des Deutschen Fernsehkrimipreises den Sonderpreis für herausragende Einzelleistung.

Es ist an der Zeit, offensiver und differenzierter mit diesen Fragen umzugehen: Woher kommen die Leute, die da rekrutiert werden, wie läuft deren Radikalisierung. Da gibt es manche Überraschung – und durchaus Ähnlichkeiten zu Bewegungen wie der RAF, der Bewegung 2. Juni oder der baskischen ETA. Denn es sind eben nicht nur Loser, die aus ökonomischen Frust handeln oder – wie das BKA noch vor ein paar Jahren vorschnell analysierte – Menschen, die mit sich selbst nicht klar kommen, weil sie vielleicht keine Frau abgekriegt haben. Das ist viel komplexer.

Wichtig ist mir, zu fragen: Was können wir tun, dass solche Leute nicht mehr abdriften – weder nach rechts, links oder in fanatisch religiöse Zirkel. Beim Rechtsradikalismus tun wir ja auch so, als fielen wir aus allen Wolken – hat man also vergessen, dass ein paar Tage bevor die NSU-Terrorgruppe aufgeflogen ist im Dortmunder Stadion 3000 Dresdner Hooligans Randale gemacht haben? Das sind Phänomene, die finden bei uns auf der Straße statt.

Wie haben Sie das Thema deutsche Konvertiten recherchiert?

Mich hat bei den Gesprächen mit deutschen Konvertiten gewundert, dass die ideologisch auf der Überholspur sind, auch in der Härte und Konsequenz ihrer Argumente. Das war beeindruckend. Mir ging es nicht darum, auf Teufel komm raus politisch korrekt zu erzählen – obwohl das ein häufig verlangter Bestandteil deutschen Fernsehens ist. Aber ich wollte, dass die Details, wie das Beten in der Moschee, auch stimmen. Ich wollte die Religion in dem belassen, was sie wirklich ist – und nicht als Angriffsziel präsentieren. Der Islam soll nicht beschädigt werden, wir müssen aber sagen – da gibt es fließende Übergänge, dem müssen wir uns stellen.

War es schwer, den Stoff im NDR als "Tatort" unterzubringen?

Nein. Der schwierigere Part war die Entwicklung. Das Thema sollte ja nicht zu stark der Krimi-Handlung geopfert werden, aber der "Tatort" ist natürlich ein Krimi. Damit hatten wir gleich zwei Probleme: Einmal wird der Hamburger "Tatort" mit dem verdeckten Ermittler Cenk Batu leider unterdurchschnittlich wahrgenommen, obwohl Mehmet Kurtulus großartig spielt.

Aber er bricht mit den klassischen "Tatort"-Erwartungen: ein türkischstämmiger Kommissar, das auch noch als Einzelkämpfer und nicht wie sonst im Duo. Jetzt sollte auch noch die Krimihandlung ein bisschen zurückschraubt werden. Aber wenn man so ein Thema machen will, muss man auch den Mut haben, genau diese anderen, Nicht-Krimi-Aspekte zu verstärken und zum Beispiel zu zeigen, wie Cenk Batu in dieses Milieu einsteigt. Auch damit die Zuschauer auf Augenhöhe sind.

Die Handlung spielt sozusagen in der Mitte der Gesellschaft. Ist das realistsich?

Gerade bei einem Thema wie Islamismus darf man keine Hinterhof-Moschee zeigen und die anderen üblichen Klischees bedienen. Der Fehler wird aber viel zu oft gemacht, wenn es um Rassismus oder Radikalismus geht. Ich wollte außerdem eine kleine Vision hineintragen, zeigen, dass es auch da längst interkonfessionelles Bewusstsein gibt. Wenn zum Beispiel der kleine Junge beim an der Moschee organisierten Nachhilfeunterricht sagt: "Wieso fliegt denn mein Kumpel hier raus, nur weil er kein Moslem ist – der ist doch auch schlecht in Mathe!" zeigt das doch: Da bewegt sich etwas.

Warum kommt bei Ihnen eigentlich das BKA im Vergleich zur Hamburger Polizei so schlecht weg? Kleine Solidarität, weil der "Tatort" wie die ganze ARD ja auch eine föderale Veranstaltung ist?

Das BKA hat doch immer wieder Geschichten präsentiert, dass man sich an den Kopf fasst. Auch wenn man sieht, woran da mit Blick auf den rechten Terror vorbeigesehen und -gegangen wurde. Wobei ich auch deutlich sagen möchte, ich bin dafür, dass man dem BKA im Dschungel des aktuellen Zuständigkeitsdurcheinanders mehr Kompetenz gibt. Da kommt man bei aller Kritik nicht dran vorbei.

Beim NDR will Mehmet Kurtulus als Cenk Batu nur noch einmal auftreten, dann kommt Til Schweiger als neuer "Tatort"-Kommissar. Waren die Figur des verdeckten Ermittlers und seine Fälle zu anspruchsvoll?

Das kann ich nicht beantworten. Ein "Tatort" mit Til Schweiger wird natürlich ein Erfolg. Ich will das gar nicht gegeneinander ausspielen, aber ich finde es schade, dass Mehmet Kurtulus aufhört. Denn die Idee war zwar noch nicht an jeder Stelle ausgereift, aber sehr gut.

Hier bestand die Chance, mal in andere Milieus einzusteigen, ein bisschen genauer, ein bisschen spezieller hin zu gucken, und dem "Tatort" eine andere Farbe zu geben. Mit ein bisschen längerem Atem hätte das auch zur Marke werden können, die sehr gut gelaufen wäre.

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