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Archiv-Artikel

kuckensema: auf bremens leinwand Filme der Fünfziger Jahre: „Der Verlorene“ von Peter Lorre

Er gilt unter Cineasten immer noch als „the best bad guy, Hollywood ever had“. Man kennt Peter Lorre als den kriecherischen Joel Cairo in „Der Malteser Falke“, den glücklosen Gauner Ugarte in „Casablanca“ – vor allem aber als Kindermörder in Fritz Langs „M“.

Auf dieser Rolle baute die Karriere des jüdischen, in Ungarn geborenen Schauspielers auf, nachdem er 1933 Deutschland verlassen musste, zuerst in England für Hitchcock in „The Man Who Knew Too Much“ auftrat und dann in Hollywood als „mad scientist“ in „Mad Love“ reüssierte. Lorre galt als der „pfiffige und kultivierte Emigrant aus Berlin, der zum Musterbild des Abscheulich-Perversen geworden war“, so Otto Friedrich.

Nur einmal versuchte Lorre diesem rigorosen Type-Casting der Hollywoodstudios zu entgehen: 1949 inszenierte er in Deutschland seine einzige Regiearbeit: „Der Verlorene“ . Angeregt durch eine kurze Zeitungsmeldung vom Selbstmord des deutschen Hirnspezialisten Karl Rothe, der während der Naziherrschaft ein Forschungsinstitut geleitet hatte, schrieb Lorre mit Hilfe von Helmut Käutner und Axel Eggebrecht das Drehbuch und spielte selbst den Wissenschaftler, der dann allerdings doch wieder ein Frauenmörder war. Karl Rothe arbeitete nach dem Krieg als Arzt in einem Flüchtlingslager, wo er sich seiner Schuld stellen muss.

Der Trümmerfilm wirkt wie eine Fortschreibung von „M“. Suchte dort eine Stadt einen Mörder, schützten hier die Nazis den Triebtäter, der ihnen nützlich sein kann. Beide Filme blicken sehr genau und treffend auf den Faschismus, der eine voraus, der andere zurück.

Stilistisch kann sich „Der Verlorene“ durchaus mit den besten „film noir“ dieser Jahre messen. Lorre arbeitete in dem Schwarzweißfilm viel mit der Dunkelheit – bei den Morden schiebt sich immer der schwarze Rücken des Täters zwischen Kamera und Opfer zu einem organisch aus der Szene entwickelten „fade to black“.

Der ganze Film ist durchzogen von einer bitteren Noir-Ironie: So entkommt etwa eine Frau gerade noch dem Mörder, nur um dann in einer Bombennacht unter Tausenden von Toten zu enden. „Als Mörder sind sie ein Amateur“, sagt der Gestapo-Mann zum Triebtäter. Und die vielen durch die Nacht fahrenden Züge sind hier, schon Jahrzehnte vor Claude Lanzmanns „Shoah“, eine bildmächtige Metapher für den Holocaust.

So etwas wollten die Deutschen 1951 natürlich überhaupt nicht im Kino sehen. Dort regierte die heile Welt der Schnulzen und Heimatfilme. Und so arbeitete Lorre danach wieder in Hollywood, wo er in Horrorkomödien wie „Arsen und Spitzenhäubchen“ oder den Poe-Verfilmungen von Roger Corman nur noch Eigenparodien bot. Oder, wie Lotte Eisner es auf den Punkt brachte: „Der beachtliche und ehrliche Film wurde in Deutschland so kalt aufgenommen, dass Lorre enttäuscht nach Amerika zurückging und sich vollends zu Tode soff.“ Wilfried Hippen

Sonntag bis Dienstag, jeweils um 18 Uhr im Kino 46