Film von Peter Liechti: So funktioniert Sterben
Peter Liechti versucht in seinem Essayfilm "Das Summen der Insekten – Bericht einer Mumie", sich dem Tod mit den Mitteln des experimentellen Kinos zu nähern.
Ein Mann geht eines Sommers in den Wald. Mit sich führt er ein Radio, Batterien, ein Mittel gegen Magenschmerzen, ein Notizbuch, Kerzen und eine durchsichtige Plastikplane. An einer abgelegenen Stelle, eine Stunde Fußmarsch von einem Fahrradweg entfernt, errichtet er eine provisorische Hütte aus Ästen und Plastik. Der Mann hat einen Wunsch: Er will sterben. Aber er will sich nicht erschießen oder Tabletten nehmen. Er hört auf zu essen. Einen Monat, denkt er, wird es brauchen, bis er tot ist. Was er erlebt, sieht und empfindet, verzeichnet er akribisch im Tagebuch. Gefunden wird er erst im Winter. Seine Leiche ist nicht verwest, sondern mumifiziert, was vermutlich daran liegt, dass er zum Zeitpunkt des Todes vollständig abgemagert war.
Die Geschichte hat sich in den Achtzigerjahren in Japan tatsächlich zugetragen. Der Schriftsteller Shimada Masahiko hat daraus einen dramatischen Monolog gemacht, "Miira ni naru made", der 1990 veröffentlicht wurde. Diesen Text hat der Schweizer Filmemacher Peter Liechti nun für die Leinwand adaptiert, das Resultat, "Das Summen der Insekten - Bericht einer Mumie", lässt sich weder als Dokumentar- noch als Spielfilm bezeichnen, eher als ein Versuch, sich dem Tod, den darzustellen doch so schwierig ist, mit den Mitteln des experimentellen Kinos zu nähern. In einem ersten Schritt geschieht dies durch nüchterne Beobachtung, in einem zweiten durch assoziative Szenen und Halluzinationen des Sterbenden.
Die Nüchternheit gibt der Text vor, aus dem Off wird detailgenau über das Einsammeln von Regenwasser, über Magenkrämpfe, Radioprogramme oder den letzten Stuhlgang berichtet. Abwesend sind Klagen oder Beschreibungen des Unglücks, das den Wunsch, sich zu töten, auslöste. Abwesend in den Bildern ist auch die Gestalt des Protagonisten, zu sehen ist niemals dieser Mann, immer nur das Waldstück, Wollgräser, sumpfige Stellen, die Plane, die Tannennadeln und die Regentropfen auf dem Plastik.
Je länger der Mann hungert, umso mehr Raum nehmen seine inneren Bilder ein, diffuse Erinnerungen, Detailaufnahmen ohne Kontext, manchmal auch verwunschene Arrangements, die den märchenhaften Charakter des Waldes zum Vorschein bringen, schließlich das Schwarzweißbild einer Frau im Gegenlicht, sie rudert, sie wird den Lebensmüden auf die andere Seite des Flusses bringen. Das könnte ein abgenutztes Bild sein, eines, das den Schrecken bannt, indem es sich in der kulturgeschichtlichen Überlieferung gemütlich einrichtet. Aber in Liechtis Film zweifelt man nicht daran, dass das Bild der Fährfrau seine zwingende Berechtigung hat.
Nicht 30 Tage verbringt der Mann im Wald, bevor er stirbt, sondern doppelt so lange, bis in den Oktober hinein. Die Kälte nimmt zu, die körperliche Qual ist groß und wird akribisch protokolliert. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem eine Umkehr unmöglich wird. Der Mann hat nicht mehr die Kraft, sich zu erheben und zu dem Fahrradweg zurückzukehren, in der Hoffnung, dass ihn dort jemand finde. Er hat nicht mal mehr die Kraft, aufzustehen und vor seinem Plastikverschlag zu pinkeln.
"Das Summen der Insekten - Bericht einer Mumie" hat das große Verdienst, all dies vor unseren Augen und Ohren auszubreiten, ohne es je einzuordnen. So hat man in keinem Augenblick den Eindruck, Liechti wolle das Sterben erklären. Ein bisschen mehr davon verstanden hat man trotzdem.
"Das Summen der Insekten - Bericht einer Mumie". Regie: Peter Liechti. Schweiz 2009, 88 Min.
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