Fettgedruckte Fehlanzeigen

■ Hans Mayer in der Freien Akademie der Künste über sein neues Buch „Wendezeiten“

Beim Vortrag über sein Buch Wendezeiten. Über Deutschland und die Deutschen verwies der Germanist Hans Mayer auf die Pioniertaten des Berliner Ensembles, auf die Lehrtätigkeit Ernst Blochs in Leipzig und die Stücke von Dramatikern wie Heiner Müller, um der leichtfertigen Formel „DDR-Ende schlecht, alles schlecht“ ein paar Fakten entgegenzustellen. Der Medaillenträger der Freien Akademie der Künste fragte nach den vergangenen 93 Jahren als einem „Jahrhundert der Restauration“. Als entscheidenden, bis heute die wichtigsten politischen Konflikte prägenden „Wendetag“ erachtet er den 30.Januar1933.

Daß heute wahrscheinlich „die Politik beginnt, wo die Kultur aufhört“, stellte Mayer nicht bloß in Umkehrung eines Schiller-Zitates fest. Nach seinen Ausführungen sind die Etappensiege im Kampf gegen Restauration und konservative Wendetage vor langer Zeit „verspielt“ worden.

Sinngemäß verhandelte Mayer nicht die Grenze zwischen Literatur und dem „Wirtschaftsstandort Deutschland“. Viel deutlicher klang die angebliche, völlige Abwesenheit der einen angesichts der blanken, brutalen Forderungen des anderen aus seinem Vortrag heraus.

Wer Mayer zuhörte, erlebte Brecht vor allem als einen „Stückeschreiber“, der im Zweifelsfall vom Feuilleton aus die „Revolution“ buchstabiert. Thomas Mann erschien als der Gigant im Nacken eines jeden, für den die Vollendung seines Romans so nah wie die Heiligsprechung scheint. Der Widerstand gegen das eherne Gesetz von „Erwartungen und Enttäuschungen“ hat uns das Prinzip Hoffnung beschert. Was aber nützt es, so Mayer, in einer Gegenwart aus lauter „marketingorientierten“, fettgedruckten Fehlanzeigen?

Mit ein paar dazwischengeschobenen Bemerkungen, unter anderem über die Namensgebung alter und neuer Bundesländer, ließ der Redner zur akut existierenden BRD anklingen: Ohne Niveau und Sprache dümpeln Kulturkatastrophengewinnler durch ein Land der Dichter- und Denkerleichen.

Mayers Sache ist seit einigen Jahren die augenöffnende Erinnerung an die anti-semitische Kontinuität im Land. Zu seinen Instrumenten gehört die lebenslange Erfahrung mit den weisen Steinen aus Augsburg, Ludwigshafen und Marbach in Württemberg. Politisch im Bilde und literarisch im Elfenbeinturm sieht Mayer im kommenden Frühjahr der Veröffentlichung seines neuen Buches „Der Widerruf. Über die Deutschen und die Juden“ entgegen.

Kristof Schreuf