PRESS-SCHLAG: Festmahl während der Pest
■ Der Klub „Junge sowjetischer Millionäre“ spendierte einem Eishockey-Turnier einen Koffer voll Geld
Ein Köfferchen mit einem aufgemalten, traurig blickenden Hund ist der Hauptpreis des am Donnerstag in Moskau beginnenden ersten kommerziellen Eishockey-Turniers der Sowjetunion. Veranstalter ist der Präsident des Klubs „Junger sowjetischer Millionäre“, Sterligow. Im Köfferchen liegen eine Million Rubel.
Der traurige Hund heißt Alissa und bringt Glück. Das wenigstens behauptet Hermann Sterligow, der auch eine Börse nach seinem Hund benannte. Das Turnier beginnt am Revolutionsfeiertag im Lenin-Stadion. Trotzdem hat Sterligow mit sozialistischen Grundsätzen nichts im Sinn. Das Turnier veranstaltet er nach knallhart kapitalistischem Vorbild. Ein großes Feuerwerk, eine Lotterie und ein Totalisator, bei dem man hunderttausend Rubel gewinnen kann, sollen für Stimmung sorgen. An den Ständen soll es „defizitny towary“ — begehrte Westwaren, Sportgeräte und Antiquitäten — geben, dazu ein Show- Programm mit Sowjet-Stars.
Eine Kostprobe aus dem Kulturprogramm wurde den Journalisten bei einer Pressekonferenz präsentiert. Der anschließende Imbiß kostete etwa 100.000 Rubel. Auf den Tischen stapelten sich gebratene Spanferkel, Kaviar, Wodka und sonstige gute Sachen, die Moskaus Bevölkerung nur noch vom Hörensagen kennt. Und als i-Tüpfelchen Striptease, eine bisher absolut verbotene Frucht.
Nachdem sich die Presseleute sattgegessen hatten, bezeichneten sie die Veranstaltung unter Anspielung auf die Misere des Landes als „Festmahl während der Pest“. Der Jungmillionär ließ sich nicht beirren. „Meine Freigiebigkeit hat nichts mit Verschwendung zu tun“, erwiderte Sterligow, „ich will mich nur als Veranstalter den Journalisten und Zuschauern zuwenden, die in der Sowjetunion immer zu kurz kamen.“ Außerdem sei der Sport nicht nur ein Wettstreit zwischen den Athleten, sondern auch ein einträgliches Geschäft. „Sind wir denn dümmer als die im Westen?“ fragte er provozierend.
Die Sportler reagierten mit Begeisterung. ZSKA, Dynamo und Spartak Moskau sowie ein Allstars-Team aus berühmten sowjetischen Eishockey-Idolen wollen um die Million streiten. Die unvergessenen Stürmer Starschinow, Michailow und Alexandrow spielen im Veteranen-Team. Obwohl es neben dem ersten Preis nur 200.000 Rubel für den zweiten Platz gibt und alle anderen leer ausgehen, schreckt der Teilnehmerbeitrag von 30.000 Rubel niemanden ab.
Ein Platz in der besonderen Prominenten-Loge kostet 50.000 Rubel. Die Nachfrage hierfür sei groß, erklärte Sterligow, der mit einer eigenen Mannschaft am Wettbewerb teilnimmt. Vor einem Jahr schon kaufte er einen Erstliga- Club. Die Sportler seiner Mannschaft äußern sich über ihre Gagen durchaus zufrieden. Es scheint sie auch nicht zu stören, daß sie jetzt auf einen Hundenamen hören müssen. Der Klub heißt — wie konnte es anders sein — einfach „Alissa“. Iwan Iwanow (dpa)
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