piwik no script img

Fernglas nicht vergessenUnter Ornithologen

Ein Ausflug mit Vogelbeobachtern in die fast menschenleere spanische Extremadura. Die Vogelwelt dort ist intakt. Hier gibt es Lebensraum für Arten, die in anderen Regionen Europas schon fast oder ganz ausgestorben sind

Weißstörche dominieren die Landschaft Bild: T. Büscher

Schon am Flughafen Düsseldorf komme ich mir vor wie ein Depp. Als Journalist soll ich eine Gruppe von Ornithologen in die spanische Extremadura begleiten, und die Männer, die da vor mir stehen, gehören offensichtlich dazu. Sie haben gigantische Fototaschen, ich eine harmlose Spiegelreflexkamera. Sie haben potente Fernrohre dabei und ich noch nicht einmal ein Opernglas. Sie reden auch anders. Über Purpurreiher, Nistzeiten und so. Hoffentlich merkt keiner, dass ich gerade mal einen Storch von einem Rotkehlchen unterscheiden kann.

In Madrid angekommen, geht es mit dem Bus weiter, dreieinhalb Stunden bis Cáceres im Herzen der Extremadura. Wir fahren nach Westen Richtung Portugal in das am wenigsten besiedelte und touristisch kaum erschlossene Gebiet Spaniens. In den weiten Steppengebieten und Savannenwäldern wachsen Stein- und Korkeichen, grasen Merinoschafe und dösen Kampfstiere. In den Sierras leben Wölfe, Ginsterkatzen, Luchse und eine in Europa einzigartige Vogelwelt. Zunächst aber hoffen wir, die Trabantenstädte rund um Madrid hinter uns zu haben. Wie geklont stehen die Betonsiedlungen links und rechts der Schnellstraße, fensterlos, neu und unbewohnt. Es sind Rohbauwüsten, die den Crash der spanischen Bauindustrie symbolisieren, der derzeit viele spanische Familien in finanzielle Schwierigkeiten bringt. Doch im Bus sind keineswegs die vielen Schilder "se vende" (zum Verkauf) ein Thema, sondern der kleine schwarze Vogel, der sich da gerade auf der Leitplanke niederlässt. Alle Fernrohre richten sich auf ihn und eine angeregte Unterhaltung beginnt. Mal ehrlich, haben die sie noch alle?

Kein Vogelkundler der Extremadura ist so berühmt wie der Brite Martin Kelsey. Er ist einer der wenigen professionellen Vogelwissenschaftler vor Ort und lebt hier schon seit vielen Jahren mit seiner Familie. Wir fahren mit ihm zu entlegenen Naturparks und zum Nationalpark Monfragüe, wo jeder Ornithologe Höhenflüge bekommt. Martin ist ein hochgewachsener, freundlicher Mann mit einem Faible für alles, was fliegt. "Nicht nur im Frühjahr, vor allem im November ist die Extremadura ein Eldorado für uns", sagt der Wissenschaftler, "dann ziehen mehr als 80.000 Kraniche von Skandinavien und Weißrussland aus hierher und ernähren sich in Reisfeldern und von Eicheln."

Martin ist Mitglied der Sociedad Española de Ornitología und hilft dabei, neue Statistiken und neue Erkenntnisse über die Vogelwelt auszuarbeiten. Eine davon: Die Vogelwelt der Extremadura ist erstaunlich intakt. Es gibt kaum Industrie und daher viel Lebensraum für Arten, die in anderen Regionen Europas fast oder ganz ausgestorben sind.

Im Segelflug Bild: T. Büscher

Eine andere Erkenntnis: Es ist unglaublich wichtig, Plattformen für Storchennester zu schaffen. Tatsächlich dominieren die Weißstörche die Landschaft wie kein anderer Vogel. Es gibt rund 12.000. Und die Bewohner der Gegend sorgen sich, dass die klappernden Schreitvögel auf den Schornsteinen ihrer Häuser nisten und Unrat und kleine Schlangen durch die Schächte fallen. Neben Fröschen bringen die Tiere so etwas mit ins Nest. Ein zusätzliches Problem ist das Gewicht ihrer Brutplätze, durch die sogar schon Haus- und Kirchendächer eingestürzt sind. Die Regierung hat daher Pfähle errichten lassen, auf denen die Tiere nisten. Storchableiter sozusagen.

Die Extremadura ist mit fast 42.000 km(2) größer als Belgien, doch leben auf einem Quadratkilometer kaum 25 Einwohner. Das Gebiet im Südwesten von Madrid war früher das Armenhaus Spaniens. Franco mochte die Extremeños ohnehin nicht, die im Spanischen Bürgerkrieg vorwiegend auf Seiten der Republikaner kämpften und traditionell links wählen, bis heute. Auch in Zeiten der EU-Förderungen wurde in den Sierras nicht viel gebaut, nun aber zum Schutz der Natur. 1979 schuf die Lokalregierung dann den ersten Naturpark, und inzwischen sind die zahlreichen Sierras wie San Pedro, de Pela, de Fuentes, Siruela und Moraleja ein Garant dafür, dass die Vögel nicht aussterben wie andernorts in Europa.

VÖGEL GUCKEN

Vogelbeobachtungsorte: Attraktiv sind der Nationalpark Monfragüe und mehrere Ebenen wie die Sierra de San Pedro. Buchungen: Im April 2009 ging das Portal www.experienciaextremadura.com online. Dort kann man neben Vogelbeobachtungstrips Landhäuser buchen, Spanischkurse belegen sowie Wanderungen organisieren. Ansprechpartnerin ist die Deutsche Meike Schwellenbach, die in der Extremadura lebt. Tel. 0034 924453671

Das Highlight für Ornithologen ist der Parque Nacional de Monfragüe links und rechts des Flusses Tajo. Wir sind mit dem Bus in aller Herrgottsfrühe zu einer Anhöhe am Nationalpark nördlich von Cáceres gefahren, zum Salto del Gitano. Hinter der alten Burg ist die Aussicht beeindruckend, doch alle zieht es zum Felsen Peñafalcon direkt am Tajo. Der Holländer Laurens, der Brite Trevor, der Finne Juha und der Ire Niall bringen ihre kompakten Stative in Stellung und schrauben Spektive darauf, durch die man sogar das Gefieder der weit entfernten Vögel scharf erkennen kann: Wir sehen Gänsegeier und Mönchsgeier, manchmal 20 Exemplare gleichzeitig, sie kreisen nah vor uns. Wie unter Hypnose stehe ich am rechten Rand der Plattform und versuche, einen Mönchsgeier ins Visier zu bekommen.

Ich merke nicht, dass alle anderen aus der Gruppe längst wieder im Bus sitzen. Allein mit den Vögeln. Es ist wunderschön. Nur kreisende Geier, keine menschliche Stimme. Schließlich taucht der Leiter auf, schüttelt den Kopf und zieht mich mit Körpereinsatz von der Plattform weg. "Tobias", witzelt er, "du bist ja schon fast wie wir. Wenn du jetzt noch deinen hellen Anorak durch einen dunklen ersetzt, bist du noch besser. Deiner schreckt nämlich die Vögel ab."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!