Feminismus-Debatte: Paradoxie der Integration
Opfer und Ego (6): Der neoliberale Feminismus lässt eine Kritik an Ungleichheiten kontraproduktiv erscheinen und ordnet sich den Gesetzen der globalen Märkte unter.
D ie bürgerliche Presse postuliert es schon seit Jahren: Der globalisierte Neoliberalismus erfindet seinen eigenen Feminismus und seine eigenen Feministinnen. Kürzlich eiferte sogar die Zeitschrift India Today den westlichen Vorbildern Time, Financial Times und anderen nach und porträtierte Frauen auf der Überholspur: Unternehmerinnen, Managerinnen, Börsenspekulantinnen. Die transnationale frohe Botschaft lautet: Die globalen Märkte machens möglich, Leistung zahlt sich auch für Frauen in Wohlstand, Erfolg und Macht aus.
Drei Viertel der Studentinnen von Jayati Ghosh, Professorin an der Nehru-Universität in New Delhi, finden direkt nach dem Examen einen Job bei McKinsey oder einem anderen namhaften Multi. Sie verdienen dort das dreifache Gehalt der renommierten Ökonomie-Professorin. Die indischen Alphamädchen tun dies, wie Katja Kullmann sagt, "aus eigenem Antrieb", "Pragmatismus" und einer "ungestümen Handlungslust wider alle Widrigkeiten" (taz, 30. 8. 2007). Der Karrieredrang ist ihr gutes Recht. Und ihn als genuin geschlechtsspezifisches Eigeninteresse einer neuen Elite, der F-Klasse, zu erklären ebenso.
Ebenfalls ist es verständlich, dass sich die jungen Inderinnen, die sich im Callcenter den US-amerikanischen Kunden am anderen Ende der Leitung als "Jane" vorstellen, erst einmal tierisch freuen, dass sie mit ihren für indische Verhältnisse traumhaften Anfangsgehältern locker kulturelle Normen ausbooten. So müssen sie etwa das Tabu der Nachtschicht brechen, denn der komparative Callcenter-Vorteil Indiens besteht darin, dass es gut qualifizierte Billigkräfte hat, die während europäischer und nordamerikanischer Bürozeiten, also in Indien nachts arbeiten. Die soziale Kategorie Geschlecht ist längst der Logik des komparativen Vorteils untergeordnet: Sie wird genutzt, wenn es der Effizienz der Märkte, der Rentabilität und dem Wachstum dient.
Jayati Ghosh stellte kürzlich in ihrer Analyse der Frauenerwerbstätigkeit fest, dass immer mehr Inderinnen in den Städten regelmäßig einer Erwerbsarbeit nachgehen - ein Ergebnis, das der Entwicklung in vielen Ländern des Nordens und des Südens entspricht. Auf dem Land sind zudem eine wachsende Zahl von Frauen mithilfe von Kleinkrediten in die Märkte integriert.
Die Jobgewinne der Inderinnen liegen jedoch - anders, als es die Euphorie um die Zukunftsmärkte erwarten lässt - nicht in modernen Sektoren: nur 0,3 Prozent der weiblichen Beschäftigten sind in der IT-Branche tätig, nur 1,4 Prozent bei Banken und Versicherungen. Die meisten Frauen verdienen ihr Geld in Privathaushalten, als Hausangestellte, Kinder- und Putzfrau oder als Heimarbeiterinnen.
So scheint im alten Europa wie auf den Zukunftsmärkten Asiens der strukturelle Ausschluss von Frauen aus der Bildung und Erwerbstätigkeit überwunden. Doch geschlechterspezifische Spaltungen des Arbeitsmarkts sind ebenso intakt wie das nur durch Diskriminierung erklärbare Einkommensgefälle. Trotzdem werden die Marktintegrierten als Gewinnerinnen gefeiert. Keineswegs nur die Aufsteigerinnen, sondern auch die Millionen, die als Billigarbeitskräfte erstmals einen Job in den Exportindustrien erwischen. Selbst die "illegalen" Migrantinnen in der globalen Versorgungskette von Kinder- und Altenbetreuung gelten noch als nachgeordnete Profiteurinnen der Wohlstandsgewinne.
Die Weltbank geriert sich als Wegbereiter der ökonomischen Förderung von Frauen und erklärt Geschlechtergleichheit zur "smarten" Ökonomie. Sie will Frauen mit den notwendigen Fähigkeiten, Chancen und Rechten ausstatten, um als freie Marktbürgerinnen wettbewerbsfähig zu sein und dadurch wiederum Effizienz und Wachstum zu steigern. Schon seit Jahren rechnet die Bank einzelnen Volkswirtschaften und Wirtschaftssektoren auf Euro und Cent vor, wie viel Wachstum ihnen durch die Lappen geht, wenn sie die "untergenutzte Humanressource" Frau weiter diskriminieren. Integration rechnet sich. "Einkommensschaffende Tätigkeit" mithilfe von Kleinkrediten, Selbstbeschäftigung, Minijobs, Ich-AGs oder Unternehmensgründung sind Ikonen der Marktintegration von Frauen.
Die globalen Märkte mit den neoliberalen Regeln des unbegrenzten Wettbewerbs bieten sich als Orte an, wo Individuen, als UnternehmerIn ihrer selbst, beim Backen und Verteilen des Kuchens "teilhaben" können. Der Markt öffnet sich für Frauen mit dem Versprechen auf Chancengleichheit und optimale Ressourcenzuteilung. Das führt zur bizarren Übereinstimmung zwischen dem Emanzipationsinteresse von Frauen und der Verwertungsdynamik der Märkte.
Feministische Leitbilder - Befreiung von patriarchaler Kontrolle, Selbstbestimmung, Unabhängigkeit, eigenständige Existenzsicherung - treffen sich jetzt mit den Prinzipien des globalen Standortwettbewerbs und der neoliberalen Zuweisung von individueller Eigenverantwortung.
Veronica Schild hat am Beispiel von Chile nachgezeichnet, wie die Forderungen von Frauenorganisationen nach individueller Förderung der neoliberalen Regierung, ihrem Ziel der Wettbewerbsfähigkeit durch flexibilisierte Frauenarbeit und eigenverantwortliche, autonome Bürgerschaftlichkeit perfekt in die Hände spielte.
Die Paradoxie der Integration liegt darin, dass Partizipation und die Gleichstellungsperspektive für Frauen ein emanzipatorischer Sprung nach vorn sind, der allein jedoch herzlich wenig an ungleichen und ungerechten Markt- und Machtstrukturen ändert. So ist die überkommene patriarchale Geringbewertung von Frauenarbeit und die Definition der Frauen als Zuverdienerinnen derzeit wunderbar funktional für die Informalisierung und Prekarisierung von Beschäftigung, für Deregulierung und den Kostensenkungswettbewerb. Mehr Chancen gibt es für Frauen, nicht aber zwangsläufig mehr Gleichheit.
Wo die Forderungen von Frauenbewegungen nach Chancengleichheit und nach Gleichstellung in Führungspositionen aufgenommen werden, wird das Etikett Feminismus auf alles und jedes geklebt, wo Frau drin ist. Dem Feminismus der zweiten Frauenbewegung ging es jedoch um Kritik an Herrschaftsverhältnissen. Ihr Ziel war die Veränderung dieser Strukturen, nicht Geschlechtergleichheit in ihnen. Emanzipation meinte nicht nur die individuelle Befreiung von Fesseln, sondern die Beseitigung struktureller Gewalt und Diskriminierung.
Die Melodie des neoliberalen Feminismus, die Katja Kullmann, Thea Dorn und die Weltbank verbindet, ist dagegen die von Wahlfreiheit, Aufstiegschancen und Leistungsgerechtigkeit. Sie lässt eine Kritik an Hierarchien und Ungleichheiten als kontraproduktiv erscheinen und verkauft sie deshalb für dumm und intellektuell billig .
Wer glaube, dass Gleichheit das Ziel sei, schrieb Barbara Ehrenreich zur Hochkonjunktur der westlichen Frauenbewegung, greife viel zu kurz. Die indische Feministin Devaki Jain griff weiter und sagte: "Wir wollen kein größeres Stück vom vergifteten Kuchen".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!