Femen-Aktivistin aus Hamburg: Die Wut-Designerin
Die Grafikerin Irina Khanova organisiert seit einem Jahr die Protestaktionen der deutschen Femen-Gruppe. Vor allem: wie die Frauen dabei aussehen sollen.
Sie schreibt Parolen auf ihren Busen, um sich vor die Kameras zu schieben. Damit die Polizisten sie dort zu Boden reißen. Aber Fotos in Straßenkleidung verbietet sie. Irina Khanova mag es nicht, wenn ihr Menschen zu nah kommen.
Bilder von Irina Khanova gibt es nur, wenn sie über ihre Kostümierung entscheidet. Meist wählt sie Blumen im Haar, ein Shirt, das mit dem Logo der Femen bedruckt ist – ein senkrechter Strich, zwei Kreise – oder eben beschriftete Haut. Khanova ist 33 Jahre alt, zierlich, Grafikerin. Wie Symbole wirken, das hat sie studiert. Die Jahresbilanz ihrer Requisiten im Einsatz für die Frauenrechte in Deutschland: Fackeln, diverse Kochschürzen und Staubsauger, die Minarette einer Moschee und ein brennendes Kreuz. Dazu Mittelfinger, Schreie, Knüppel und immer: Brüste.
Ein Jahr ist es her, dass sie in Hamburg die deutsche Sektion der Femen gegründet hat. Die Frauenrechtsbewegung stammt aus der Ukraine. Femen steht für Oben-ohne-Protest. Der Name ist zur Marke geworden, im Onlineshop verkaufen Aktivistinnen Brust-Abdrücke und Bücher gegen US-Dollar. Doch in Deutschland hat ein neues Symbol von Khanova die größte Schlagkraft. Es heißt Josephine.
Josephine Witt ist eine Frau mit Rehaugen und langen Beinen. Sie war vier Wochen lang im tunesischen Gefängnis. Ihren zwanzigsten Geburtstag erlebte sie im Knast. Bevor sie verhaftet wurde, war Witt Philosophiestudentin in Hamburg. Seither ist sie Medienfigur.
Halbnackt in Tunis
Ende Mai hatte sich Witt zusammen mit zwei französischen Aktivistinnen in Tunis halbnackt an den Zaun des Justizministeriums in Tunis geklammert. Ein Protest gegen die Verhaftung der tunesischen Aktivistin Amina Tyler, mit der sie zuvor geskypt hatten. Im Gefängnis musste Witt auf dem Steinboden schlafen, zwischen Blut, Urin und Kakerlaken. Davon berichtet sie jetzt den deutschen Journalisten.
„Ich habe Zwangsverschleierung am eigenen Leibe erfahren“, sagt Josephine Witt dann. „Ich wurde unterdrückt und unterworfen. Der Islamismus hat mich zu seinem Opfer gemacht. Das hat mir sehr viel Leid zugefügt, aber daraus schöpfe ich jetzt Stärke.“
Irina Khanovas deutsche Femen kommen in den Zeitungen gut an. Heute sind es rund zwanzig Frauen aus ganz Deutschland, die ihr für Protestaktionen zur Verfügung stehen. Junge Frauen, jünger als sie. Sie treffen sich zu einheitlichen Fitnesstrainings, nach ukrainischem Vorbild. Die Posen und Sprechchöre studieren die Frauen sorgfältig ein. Damit die Bilder stimmen. Doch was ist die Botschaft?
„Nackt-Attacken“
Bei der Finalshow von Heidi Klums Wettbewerb „Germanys Next Topmodel“ stürmen zwei Frauen die Bühne: „Heidi Horror Picture Show“ steht auf ihren Körpern. Bei der Hannover Messe im April stürzen sie auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin und Bundeskanzlerin Angela Merkel zu. Der Schriftzug: „Fuck Dictator“. Die Boulevardblätter schreiben dankbar „Blankziehen aus Protest“ und „Nackt-Attacken“ und drucken die Fotos der Frauen. Witt sagt: „Die Brüste sprechen für sich. Das reicht schon aus, um zu schocken.“
Inhaltsleer und beliebig sei der Femen-Protest, schimpfen mittlerweile etablierte Frauenrechtlerinnen. Ein feministischer Protest von Frauen, die allesamt dem Schönheitsideal entsprächen und es mit billigen Reizen in die Medien schafften, der sei keiner. Nach einer Protestaktion vor einer Berliner Moschee fühlen sich muslimische Feministinnen bevormundet. „Ich bin schon frei“, steht danach auf deren Plakaten. Mit der Zahl der Schlagzeilen steigt die Lautstärke der Kritik.
Josephine Witt liest laut aus der Emma vor. „Die Femen sprechen in der Tat die Sprache des Lebens, diese Szene-Feministinnen das entpolitisierte Kauderwelsch ihrer Gender-Seminare, das das Leben eher verdeckt als benennt“, schreibt Alice Schwarzer. „Wir sind umstritten bei feministischen Aktivistinnen, die nur Blogs schreiben“, fasst Witt zusammen.
„Man muss Kritik aushalten und Spott“, sagt Khanova. Irina Khanova ist in Russland aufgewachsen. Als sie 17 Jahre alt war, sollte sie entscheiden, ob sie für Geld mit Männern schlafen will. Khanova sagte Nein. Einige ihrer Verwandten sagten Ja. Als sie nach ihrem Studium nach Hamburg kam, erwartete sie Gleichstellung. Was sie sah, war die Reeperbahn. Die legale Ausbeutung. Elitenprostitution. Dabei wisse doch jeder, dass diese Frauen seelisch kaputt seien, dass sie das nur mit Alkohol und Drogen ertrügen.
Hitlergruß im Rotlichviertel
Im Juni vergangenen Jahres schnallen sich die ukrainischen Femen-Frauen vor Hamburger Bordellen Gummipenisse um und zeigen den Hitlergruß. Auf ihrer Brust steht: „Sex Slavery“. Als sie anschließend im Kulturzentrum Kampnagel auftreten, sitzt auch Irina Khanova im Publikum.
Zwei Jahre lang, erzählen ihr die Ukrainerinnen, hätten sie in ihrer Heimat Flyer verteilt, ohne dass sie jemand bemerkte. Dann hätten sie sich entschlossen, dabei ihre T-Shirts auszuziehen. Khanova fand das plausibel. Heute sagt sie: „Wir vergessen das Thema Zwangsprostitution nicht, bis das Prostitutionsgesetz geändert wird.“ Am Anfang gab es bloß sie und eine Bekannte. Mit der Zahl der Schlagzeilen steigt aber auch die der Interessentinnen.
Nachrichten an Femen Germany landen im Postfach von Irina Khanova. Josephine Witt schreibt ihr im Januar die erste E-Mail. Weil sie der Sextourismus bei der Europameisterschaft im Sommer zuvor wütend gemacht habe, sagt sie. Im Februar läuft sie obenrum mit nichts als Hosenträgern zwischen Demonstranten durch den Berliner Stadtteil Neukölln. „No NPD“, steht auf ihrem Bauch.
Fünf Monate später, ein Elektrofestival an der Elbe. In Riemchensandalen steht Khanova auf platt getrampelten Bierdosen und Konfettischnipseln. Die Abendsonne wärmt noch. Männer mit Sonnenbrillen schieben sich an ihr vorbei und Frauen in Blumenkleidern. Bässe wummern in den Bauch. Khanova zieht ihr Handy aus der Tasche: Eine Berlinerin ist noch nicht da, sie muss vom Bahnhof abgeholt werden. Braucht einen Schlafplatz in Hamburg, morgen ist Strategiegespräch. Khanova tippt.
Die Mädchen, die heute schon nach Hamburg gekommen sind, wollen jetzt tanzen. Debbi, die ihr Haar grün gefärbt hat und vorher bei der Antifa war. Annika, 18, der auf Partys wie diesen ihre Schulkameradinnen über den Weg laufen. Annika hat „Nicht ohne meine Tochter gelesen“, den Schicksalsroman über eine unterdrückte Amerikanerin im Iran. Mit Femen kämpfe sie gegen die Unterdrückung der Frau durch Religion, sagt sie.
Josephine Witt ist schon da. Im bunten Wickelrock, bauchfrei, sie winkt. „Wir können uns zu den Typen setzen, die leisten mir schon die ganze Zeit Gesellschaft“, ruft sie und strahlt. Khanova mustert die Männer: Vielleicht zehn Jahre jünger als sie, im Alter der anderen, sitzen im Kreis, trinken Bier, grinsen blöd. Aber wenn es für Femen ist – Khanova streicht ihren Jeansrock glatt, lässt sich auf das Gras sinken und lächelt. „Kommen noch Bands?“, wendet sie sich an Witt. „Das ist Elektro“, erklärt die. Dann erspäht sie den Kopf einer jungen Frau, die ein paar Meter entfernt vorbei geht: „Guck mal, Blumenkranz!“, ruft sie. „Wir haben voll den Trend gesettet.“
Glasige Blicke
Vorn dreht sich eine Diskokugel, die Menschenmasse wippt im Takt. Schnell ist Witt in der Menge verschwunden. Khanova folgt ihr mit kleinen Schritten. Seit sie bei Femen ist, ist so etwas schwieriger für sie geworden: die Frauen mit den kurzen Hosen, die Männer mit den glasigen Blicken. Diese Oberflächlichkeit. Haben die daran wirklich Spaß? Sie ist schon mittendrin, als sie eine Hand spürt und sich umdreht. Ein dicker Kerl, blonder Bürstenschnitt. Khanovas Augen sind groß geworden. Sie greift ihr Handy und macht kehrt.
Ein Café in Hamburgs Innenstadt. Eine Woche nach Witts Entlassung aus der Haft sitzt Irina Khanova auf einer Couch, trinkt Leitungswasser und erwartet sie. Vom Flughafen ist sie direkt hierher gefahren. Davor: Auftritt im SWR-Nachtcafé im Schloss Favorite, Ludwigsburg. Khanova trug rote Blüten im Haar und roten Lippenstift. Witt kommt aus Köln von Stern TV, mit Live-Chat und Aftershowparty.
Khanova blättert im Politikmagazin Cicero. „Nackte Tatsachen“, heißt der Artikel. Die Bilder zeigen Brüste, Fäuste, Blumen und eine Motorsäge. „Der ist gut“, sagt sie. „Hier“, sagt Witt, und legt Die Zeit neben Khanovas Schoß: „Hast du den Artikel schon gelesen?“ Das Porträt zeigt Witt im Wollpullover. „Aus Versehen“, sagt sie. Draußen, bei einem Kiosk, steuert Witt die Gummitierchen an, die sich in Schachteln an der Schaufensterscheibe türmen. „Ich will Süßigkeiten“, sagt sie und hat schon die Zange in der Hand. „Ich esse sowas gar nicht“, antwortet Khanova. Sie sind gekommen, um sich einen Zeitungsartikel zu kopieren. Süddeutsche Zeitung, keine gute Presse.
Während der Kopierer summt, hopst Witt auf die Fensterbank. Sie lässt die Beine baumeln. Ihr Kleid ist kurz, das braune Haar fällt ihr über die Schultern. Der untersetzte Mann hinter dem Tresen lächelt. „Gehst du aufs Gymnasium?“, fragt er. Witt schüttelt den Kopf. „Seh’ ich so jung aus?“ Also erzählt sie drauflos: Bald stehen ihre Philosophieprüfungen an, aber im Gefängnis konnte sie ja nicht lernen. Vielleicht das Studium wechseln? Aber wohin? „Ich studiere Medizin wie Che Guevara“, haucht sie dem Verkäufer entgegen. Und irgendwie ist Femen ja auch philosophischer Aktivismus, „weil es mit dieser minimalen Bildsprache arbeitet“, sagt Witt. Khanova nickt.
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