berliner szenen: Feierabend an der Yuppie-Brücke
Abends, wenn ich die Buchhandlung schließe, ist die Gegend am lebendigsten. Die Jungs aus dem Laden nebenan rauchen, die tätowierten Kerle von der Fahrradwerkstatt auch, die aus dem Second-Hand-Laden trinken Aperol, und der Duft der Pizzeria an der Ecke steigt mir mit voller Kraft in die Nase. Es sind noch ein paar Stunden Tageslicht übrig, und in der Luft liegt eine Lebhaftigkeit, die perfekt zu meinem Glücksgefühl passt, wieder als Buchhändlerin zu arbeiten. Nachdem ich mich von meinen Nachbarn verabschiedet habe, laufe ich ein paar Meter weiter zur Hobrechtbrücke. Dort kann man die letzten Sonnenstrahlen erwischen, wenn man eine kleine Lücke findet – denn, als wollte sie mit der Admiralbrücke konkurrieren, ist jeder Zentimeter des Gehwegs und ein Teil der Straße rappelvoll. Die Menschen trinken, plaudern, spielen Karten oder sitzen einfach rum. Es gibt Leute, die Pfandflaschen sammeln oder um Geld bitten, Straßenmusiker, DJs und einen Mann mit einem Klapptisch, der auf spontane Gegner*innen wartet, um eine Runde Dame zu spielen. Er war schon immer da, noch bevor die Brücke renoviert wurde und so viele Leute anzog. Damals waren es vor allem Passanten, die manchmal stehen blieben, um den Kanal zu fotografieren – mal mit untergehender Sonne, mal mit aufgehendem Mond – und ein paar andere, die gegen das Geländer der Brücke lehnten. Außerdem gab es einen Gitarristen, der immer vor der alten Apotheke spielte. Auch die selbstorganisierte Kaffeeausgabe für Obdachlose, ein Späti und ein indisches Restaurant sind plötzlich verschwunden. Das alles ist traurig, und trotzdem freue ich mich, als ich ein Plätzchen neben einem selbstgebastelten Schild finde, auf dem „Neue Yuppie-Brücke“ steht, und mein Feierabendbier öffne.
Luciana Ferrando
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