NACHTRAG ZUM „KAISERBEGRÄBNIS“ IN WIEN : Fehlstelle Institution
ISOLDE CHARIM
Man kann natürlich sagen, das sogenannte Kaiserbegräbnis des einstigen Thronfolgers Otto Habsburg hätte alle Österreich-Klischees bestätigt: die Monarchie, die große Zeremonie, die barocken Formen, der Katholizismus und die Morbidität. Man konnte noch einmal in der Liga der medialen Adelsereignisse mitspielen. Andere mögen Hochzeiten feiern, du glückliches Österreich stirbst. Und was war nicht alles los: Die Zeitungen quollen über; es gab Livestreams, sechsstündige Fernsehübertragungen, Videoblogs, heftigste Diskussionen in den Internetforen und Zehntausende auf der Straße.
Tatsächlich aber hatte dieses Ereignis viel mehr mit dem Begräbnis von Karol Wojtyła, Papst Johannes Paul II., zu tun als mit sämtlichen Wien-Klischees. Und dies nicht etwa wegen des Katholizismus der Habsburger. Wie beim Papstbegräbnis gab es auch hier eine eigentümliche Bildwelt und eine fremde Formensprache. Das Papstbegräbnis war natürlich unschlagbar mit seinen lateinischen Formeln. Das Unverständliche daran hat den Schauer der Zuseher noch erhöht. Aber das Kaiserbegräbnis war auch nicht schlecht. Es gab einige sehr pittoreske Formen, die vielleicht nicht das Göttliche, aber zumindest das Gottesgnadentum evozierten: etwa die Anklopfzeremonie an der Tür der Kaisergruft oder die gesonderte Bestattung des Herzens in Ungarn. Das ist natürlich ein Spektakel und zieht die Menschen an. Die zentrale Frage dabei aber ist: Wieso weckt es Gefühle? Den TV-Kommentatoren, die in solchen Fällen zu Dolmetschern werden, die die alten Rituale ins neue Medium übersetzen, versagte die Stimme. Die Leute waren zu Tränen gerührt. Gibt es eine reale Sehnsucht nach der Monarchie? Alle Kommentatoren beeilten sich zu versichern, es drohe keine Gefahr – die Demokratie sei gefestigt und die Monarchie habe ausgedient. Die bewegten Zuseher seien Demokraten. Aber diese Versicherung verkennt das eigentliche Problem.
Die Zuseher sind bewegt und haben dennoch keine Sehnsucht nach dem Kaiser. Die Bewegtheit rührt von etwas anderem. Sie ist, wie die Faszination beim Papstbegräbnis, Symptom – ein Symptom für die Sehnsucht nach einer Institution, nach einer Form. Das ist ein nicht zu unterschätzendes Bedürfnis. Wir leben in einer Zeit ohne gesellschaftliche Großformen, ohne bindende Zugehörigkeiten. Es gibt natürlich nach wie vor Institutionen politischer oder religiöser Natur. Aber sie sind längst nicht mehr der „natürliche“ Ort des Politischen oder des Religiösen. Es gab da einen langen Loslösungsprozess und an dessen Ende leben wir heute in religiöser und in politischer Hinsicht in einer Welt des „Glaubens ohne Zugehörigkeit“, wie Charles Taylor das nannte. Die politische Überzeugung hat keine feste Identität mehr, der religiöse Glauben keine Gemeinschaft. Das heißt nicht, dass es keinen Religiosität oder keine politischen Haltungen mehr gibt – nur sind diese nicht mehr gebunden. Ungebunden, ungespeichert, existieren sie als politische und religiöse Energien, die frei flottieren. Von der Wiederkehr der Religion zu sprechen oder von Monarchismus verkennt, dass beides gerade jene Bindung der Energien bedeutet, an denen es uns heute mangelt. Das Publikum des Kaiserbegräbnisses ist näher am Wutbürger als am Monarchisten. Es ist komplementär zu ihm.
Der Wutbürger stellt sich in die Lücke, die das Fehlen einer funktionierenden, einer überzeugenden politischen Institution aufgerissen hat. Das ergriffene Publikum empfindet dieselbe Leere und wendet sich nostalgisch vergangenen Formen zu. Beide aber zeigen an, wie grundlegend Repräsentation heute nicht mehr funktioniert. Wir finden keinen Umgang mit den frei flottierenden gesellschaftlichen Energien. Und das ist ein wirklich eminentes Problem.
■ Isolde Charim ist freie Publizistin und lebt in Wien