Fehlentwicklungen vermeiden

■ Neuer Bildungsgesamtplan für das vereinte Deutschland / Falsche Schulpolitik nicht von West nach Ost importieren / Für den Erhalt der Kinderbetreuungseinrichtungen wie Krippe und Kindergarten

Bonn (adn/dpa/taz) - Vor dem Import von Fehlentwicklungen des bundesdeutschen Bildungswesens in die DDR warnte der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Wilhelm Ebert. Gemeinsam mit seinem DDR -Kollegen, dem Präsidenten des Allgemeinen Verbandes der Pädagogen, Norbert Siegel, forderte Ebert am Sonntag gegenüber der 'dpa‘ einen neuen Bildungsgesamtplan für das vereinte Deutschland.

Dabei müsse auch die weitere europäische Entwicklung berücksichtigt werden. Siegel bat vor allem „um etwas Zeit, damit die Lehrer in der DDR gemeinsam mit Schülern und Eltern die richtigen Weichen stellen können“.

Den neu entstehenden Ländern in der heutigen DDR prophezeite Ebert geringe Chancen für eigenständige Entwicklungen, wenn der „Importdruck“ aus der Bundesrepublik in Einzelfragen des Bildungswesens zunehme. Ebert kritisierte dabei vor allem Versuche des hessischen Kultusministers, dem künftigen Land Thüringen das gegliederte Schulwesen aufzudrängen.

Insbesondere bei der Schulstruktur sollte die DDR nicht ohne Not bestimmte bundesdeutsche Schulmodelle übernehmen, die bereits hierzulande große Existenzprobleme hätten. In allen Bundesländern sollte der Grundsatz gelten, für alle Schüler eine möglichst lange gemeinsame Schulzeit zu erhalten. Vor allem müsse endlich der „Unfug“ abgeschafft werden, bei einem zehnjährigen Kind die Entscheidung über die zukünftige Schullaufbahn treffen zu wollen.

Die beiden Lehrerverbandsvorsitzenden sehen für die Bundesrepublik wie für die DDR eine neue Gesamtschuldiskussion voraus. Ebert: „Wer die differenzierte Gesamtschule in der Bundesrepublik mit der bisherigen Einheitsschule der DDR gleichsetzt, versteht nichts - oder ist bösartig.“

Ebert wie Siegel traten in dem Gespräch dafür ein, daß der Bund in Zukunft stärker auch gegenüber den europäischen Gremien eine Koordinierungsfunktion wahrnimmt. Die Erweiterung der Kultusministerkonferenz von elf auf 16 Mitglieder werde es künftig noch schwieriger machen, zu Gemeinsamkeiten zu kommen. Eine parteipolitisch geprägte Blockbildung sei zu befürchten.

Im VBE sind rund 100.000 Lehrer aus allen Schulformen der Bundesrepublik organisiert, der neu gegründete Allgemeine Verband der Pädadogen der DDR hat mittlerweile über 30.000 Mitglieder aus allen Bereichen des Bildungswesens. Beide Organisationen wollen sich noch in diesem Jahr zu einem Gesamtverband zusammenschließen.

Was die Zukunft der Kinderbetreuungseinrichtungen in der DDR anbelangt, plädierte die Staatssekretärin im Ostberliner Ministerium für Familie und Frauen Helga Kreft für deren Erhalt. „Die Lebensplanung unserer Leute ist darauf ausgerichtet.“ Löhne und Gehälter seien bisher so niedrig gewesen, daß zum Erhalt der Familie beide Verdienste erforderlich waren. „Fällt die Betreuung der Kinder in Krippe, Kindergarten, Hort und Heimen weg, wird eine Vielzahl aus der Bevölkerung zu Sozialhilfeempfängern und liegt damit dem Staat auch auf der Tasche. Darin ist keine Logik zu sehen.“ Es sei ein kontinuierlicher Übergang dahin notwendig, daß sich die Familien entschließen, mehr und mehr die Betreuung der Kinder selbst zu übernehmen. Ein guter Ansatz dafür sei die Übernahme des Erziehungsgeldes ab 1.Januar 1991. Diese Bestimmung ermögliche in der Regel einen größeren gesicherten Betrag als bisher. Darüber hinaus, teilte Helga Kreft mit, werde das bundesdeutsche Kindergeldgesetz übernommen. Für alle Familien mit mehr als einem Kind würden sich damit die Leistungen verbessern.

Weiterhin strittig, so die Staatssekretärin, sei die Frage der bezahlten Freistellung zur Pflege des erkrankten Kindes. Die DDR-Seite habe bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag vorgeschlagen, die jetzt gültige Regelung als Übergangslösung noch für ein Jahr beizubehalten. „Danach wäre unseres Erachtens eine Freistellung von zehn Tagen pro Jahr und Kind ein vertretbarer Kompromiß. In der BRD sind es zur Zeit fünf Tage.“