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Fehlende deutsche Angriffe beim HalbfinaleSchön verteidigt? Danke dafür!

Die DFB-Auswahl ist im WM-Halbfinale an einer nahezu perfekten Kombinationsmaschine aus Spanien gescheitert. Aber auch deshalb, weil Löw seine Mannschaft überschätzen wollte.

Boateng wird ausgewechselt: Löw war stinksauer weil er einmal den Ball unüberlegt nach vorne drosch. Bild: ap

DURBAN taz | Einen Tick besser, wie Bundestrainer Joachim Löw meinte? Oder doch viel besser? Egal. Spanien steht im Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft. Und niemand würde sagen, dass die Mannschaft das nicht verdient hätte. Sie hat genauso gespielt, wie alle das erwartet hatten. Ihr System, ihre Taktik, die Qualitäten ihrer Spieler, nichts gibt es, was man über die Spanier nicht weiß.

Es kann ihnen egal sein, dass sie alles andere sind als ein Geheimnis. Die Gegneranalyse, sie war der Schlüssel zu den Erfolgen der DFB-Mannschaft über England und Argentinien. Das Wissen um die Spielart der Spanier hat den Deutschen gegen Spanien indes nicht weitergeholfen. Der Gegner war einfach zu gut.

Sie sind gelandet, die deutschen Spieler, die zuvor regelrecht durch das Turnier geflogen waren. Joachim Löw glaubte vor dem Spiel, sie könnten weiterfliegen. Und so wollten sie einfach mitspielen, einfach spielen. Selten war ein Halbfinale so fair. Drei Freistöße gab es in der ersten Hälfte. Es war schnell klar, dass an diesem Abend, bei der letzten Fußballmesse, die in der WM-Kathedrale von Durban gelesen wurde, die bessere Mannschaft gewinnen würde, nicht die fittere, nicht die schnellere und schon gar nicht die härtere.

Löw wollte die seinen einfach mitspielen lassen. Er hat seine Mannschaft überschätzt. Auch deshalb ist sie im Halbfinale gescheitert. Und doch hat er, so wie er die Mannschaft einstellte, dem Fußballsport einen großen Dienst erwiesen. Da wurde nicht gemeckert, nicht gegrätscht, nicht geackert, es wurde einfach nur gespielt. Dankeschön dafür.

Das Verteidigen durch Ablaufen und Nachlaufen hatte gegen Argentinien nahezu perfekt geklappt. Bei aller Schwärmerei über die deutschen Schnellangriffe war ein wenig untergegangen, dass Löw der deutschen Abwehr ein neues Gesicht gegeben hatte. Die hatte sich schwergetan zu Turnierbeginn und dann beinahe perfektioniert, was Löw schon seit Jahren fordert.

Auch gegen Spanien sah das lange Zeit sehr gut aus. Es gab kein unfaires Tackling, keiner rutschte meterweit über den Rasen, um am Ende vielleicht doch nur die Beine des Gegners zu treffen. Verteidigen konnten deutsche Mannschaften immer schon gut, so schön aber konnten sie es noch nie. Die Fußballmoderne hat auch in der deutschen Defensive Einzug gehalten. Auch dafür: Dankeschön!

Dass die Spanier dennoch derart sicher und überlegen agiert haben, zeigte, wie viel besser diese Mannschaft ist als etwa die aus Argentinien. Nach dem Spiel schwärmte Joachim Löw von der perfekten "Ballzirkulation" im spanischen Spiel. Das viel besungene Mittelfeld der Spanier bewegte sich einmal mehr so gut, dass sie in Ballnähe beinahe immer in Überzahl waren. Das sichere Abspiel war deshalb nie ein Problem für sie. 23 Minuten hat es gedauert, bis die Deutschen den Spaniern zum ersten Mal einen Ball im Mittelfeld abnehmen konnten. Nur weil die Defensive gut gearbeitet hat, konnten die Deutschen lange ein Tor verhindern.

"Ich war mir sicher, dass wir in der Defensive stabil stehen", sagte Manuel Neuer, der deutsche Torhüter direkt nach der Niederlage. Dass die spanische Dominanz irgendwann automatisch zu einem Treffer führen würde, dieses Gefühl habe er während der Partie nie gehabt. Und in der Tat ist es den Spaniern nicht gelungen, aus dem Spiel heraus einen Treffer zu erzielen. Carles Puyols köpfte nach einem Eckball zum entscheidenden Tor ein. Manuel Neuer sagte aber auch: "Dass wir vorne kein Tor schießen würden, das hätte ich eher sagen können."

Genau. Wo war das deutsche Angriffsspiel nur geblieben an diesem Abend? "Es haben nicht alle Spieler ihre Topform abgerufen", meinte Kapitän Philipp Lahm nach der Partie. Es habe an der "Lust" gefehlt, draufloszustürmen, am Bewusstsein, "wirklich eine Chance gegen Spanien zu haben". Früh haben die Spanier gestört, alles dafür getan, nach den seltenen Ballverlusten schnell wieder das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Das war zu erwarten.

Überrascht dürfte es die Deutschen nicht haben. Zunächst meckerte Joachim Löw, wenn seine Spieler die Bälle nicht an den Mann gebracht haben. Auf Jerome Boateng war er stinksauer, als der einmal einen Ball unüberlegt einfach nach vorne gedroschen hat. Nach dem Spiel meinte er dann beinahe schon ernüchtert, dass man gegen eine Mannschaft wie Spanien auch mal zu Mittel des Befreiungsschlags greifen müsse.

Es war die bittere Erkenntnis des Abends. Die Deutschen haben einfach nicht mithalten können. Das schnelle Umschalten, es gelang eigentlich nur ein einziges Mal. Toni Kroos, der frei vor Spaniens Keeper Iker Casillas zum Schuss gekommen war und scheiterte, schwieg ganz lange, als er auf diese Szene angesprochen wurde. Dann meinte er ganz leise: "Was soll ich dazu sagen?" Fix und fertig war er, so als hätte er allein die Niederlage verschuldet.

Er sollte nicht traurig sein. Die bessere Mannschaft hat gewonnen. "Die beste Mannschaft der Gegenwart", wie Marcell Jansen gar meinte. Und irgendwann, als die erste ganz tiefe Enttäuschung verebbt war, fiel ihnen ein, welch junge Truppe sie doch bilden. Joachim Löw sagte: "Die Entwicklung ist noch nicht zu Ende."

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