Faruk Sen verlässt Zentrum für Türkeistudien: Der Abgeschobene
Den Kündigungsschutzprozess vermieden: Der umstrittene Direktor des Essener Zentrums für Türkeistudien wird nicht rausgeschmissen - und muss trotzdem gehen.
Faruk Sen macht gute Miene zum bösen Spiel. "Ich bin mit der gefundenen Lösung durchaus zufrieden", sagt der Nochdirektor des Essener Zentrums für Türkeistudien (ZfT). "Sie anerkennt meine bisherige Arbeit und eröffnet eine wichtige Perspektive für ein neues Kapitel in den deutsch-türkischen Beziehungen." Was soll der Sechzigjährige auch anderes sagen? Sen weiß schließlich: Es hätte für ihn schlimmer kommen können.
Aber nun ist klar: Der große Showdown fällt aus. Die für Freitag angesetzte außerordentliche Kuratoriumssitzung, auf der der bereits suspendierte Sen nach dem Willen seiner Gegner in Schimpf und Schande vom Hof gejagt werden sollte, ist abgesagt. Nach Verhandlungsrunden am Montag und am Dienstag verständigten sich der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU) als Kuratoriumsvorsitzender und der ZfT-Vorstandschef Fritz Schaumann (FDP) mit Sen doch noch auf eine diplomatische Variante: Der eigenwillige Professor wird nicht rausgeschmissen - und muss doch gehen.
Das Anstellungsverhältnis Sens mit dem ZfT wird "im gegenseitigen Einvernehmen zum 31. Dezember 2008 gelöst", verkündet das NRW-Integrationsministerium in einer Erklärung. Bis zu diesem Termin werde der Wissenschaftler "freigestellt, um die Aufbauarbeit für die geplante deutsch-türkische Universität in Izmir zu leisten". Man sei "froh, dass Faruk Sen seine jahrzehntelangen Erfahrungen in Deutschland und der Türkei in diese neue Universität einbringt", scharwenzeln Laschet und Schaumann. Die gefundene Lösung ermögliche einen Generationenwechsel und sichere die Zukunft des Zentrums. Das Kuratorium werde auf seiner regulären Sitzung am 15. September über einen personellen Neuanfang beraten, bis dahin habe Sens Stellvertreter Andreas Goldberg die kommissarische Leitung inne.
Kein Wort mehr von Laschet und Schaumann über jenen Vorgang, den der Vorstand Ende Juni zum Anlass genommen hatte, Sen nach 23 Jahren von heute auf morgen vor die Tür zu setzen: seinen unglücklichen Vergleich der heutigen Situation der Türken in Europa mit der der europäischen Juden in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Kein Wort mehr davon, dass Sen mit seinem Beitrag in der türkischen Wirtschaftszeitung Referans "dem deutsch-türkischen Verhältnis, der Integrationspolitik und dem Stiftungszweck schwer geschadet" habe, wie es in dem einstimmigen Beschluss des Vorstands vom 26. Juni hieß. Und auch kein Wort mehr davon, dass "nicht nur die aktuellen Äußerungen des Direktors" die Reputation des Zentrums geschädigt hätten. Stattdessen Lobpreisungen: Mit seinem Engagement für die türkeistämmigen Menschen und für die deutsch-türkischen Beziehungen habe Sen einen wesentlichen Beitrag für deren Anerkennung und Integration in Deutschland geleistet, lobt Laschet dessen "außergewöhnliche Lebensleistung".
"Ich fühle mich rehabilitiert", kommentiert Sen Laschets Äußerungen. Es ist jedoch zu spüren, wie schwer ihm der Kompromiss gefallen ist. Nur allzu gerne wäre er wieder an seinen Schreibtisch in der ehemaligen Essener Krupp-Geschossdreherei zurückgekehrt, wenigstens für eine Übergangszeit. Doch der Weg zurück ins ZfT bleibt durch die Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen versperrt.
Es ist das Ende einer langen Liebe, die Anfang der 80er-Jahre im türkischen Bursa begann. Am Rande einer von der damaligen Bundesausländerbeauftragten Liselotte Funcke initiierten Konferenz über Fragen der Integration türkischer "Gastarbeiter" versuchte der Mittdreißiger Sen deutsche Tagungsteilnehmer von seiner Idee eines wissenschaftlichen Instituts zur Migrationsforschung zu überzeugen. Kein leichtes Unterfangen, die Widerstände waren groß. Keine der großen Parteien verstand damals die Bundesrepublik als Einwanderungsland, stattdessen war man intensiv darum bemüht, türkische "Gastarbeiter" mittels Rückkehrprämien zur Remigration an den Bosporus zu bewegen. Aber Sen fand Unterstützer. Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft konnte gewonnen werden, außerdem die Freudenberg-Stiftung, die die ersten 10.000 Mark für die Entwicklung eines Konzepts gab.
Als Sen im Oktober 1985 seine Arbeit als Leiter des gerade gegründeten Zentrums für Türkeistudien aufnahm, regierten in Ankara noch Generäle. Das Bild von den Türken in Deutschland war geprägt von Wallraffs Buch "Ganz unten". Sens Ziel war, das Zentrum zu einem Mittler zwischen Türken und Deutschen werden zu lassen. Das damals im Bonner Wissenschaftszentrum beherbergte ZfT begann mit einem Jahresetat von 320.000 Mark, einer halben Sekretärinnenstelle, einer jeweils halben Stelle für eine deutsche und eine türkische Akademikerin. Über die Jahre wurde es zur gefragten Institution in allen Fragen, die mit Integration zu tun haben - und das lag nicht zuletzt an der Umtriebigkeit Sens. Wann immer ein Türkeithema aktuell wurde, präsentierte er kurz darauf neue Umfrageergebnisse - sei es zur Zypernfrage, zum Medienkonsum der Deutschtürken, ihrem Heimatgefühl oder zum Kopftuchstreit. Er kämpfte für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union, rief dazu auf, "Ehrenmorde" zu ächten und startete Kampagnen für mehr Ausbildungsplätze - ein dreijähriges ZfT-Projekt schuf im Ruhrgebiet fast fünfhundert Lehrstellen. Bis heute beschäftigt sich das Zentrum intensiv mit der ökonomischen und sozialen Situation türkischer Einwanderer und befragt sie regelmäßig. Heute hat das ZfT, das 1991 nach Essen umzog, einen Jahresetat von 1,8 Millionen Euro und 20 Mitarbeiter. Sein Nochchef gilt mittlerweile als einer der wichtigsten Migrationswissenschaftler der Bundesrepublik.
Unumstritten war er allerdings nie. Den einen war Sen ein Dorn im Auge, weil er immer wieder wortreich die Diskriminierung türkischstämmiger Menschen in der Bundesrepublik thematisierte. So kritisierte er, der 1996 die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hatte, dass Integration mittlerweile eine rein individuelle Leistung jedes einzelnen Zuwanderers sei. Den Integrationsgipfel der Bundesregierung bezeichnete er als "reine Showveranstaltung und Farce". Kräftig vergaloppierte er sich, als er nach dem Brand in Ludwigshafen in türkischen Medien von einem "Signal der deutschen Gesellschaft an die Türken, dass sie so langsam nach Hause gehen sollen", sprach. Mancher stört sich an seinem Geltungsdrang und dem bisweilen patriarchalen Gehabe des "Fürsten Faruk". Manche beklagen auch eine fehlende Wissenschaftlichkeit des "Professors für 1001 Projekte", wie einmal der grüne Europaabgeordnete Cem Özdemir spottete. Den muslimischen Verbänden ist er als Stimme der säkularen Türken suspekt - Sen ist überzeugter Laizist. Den kurdischen Verbänden ist er als vermeintlich türkischer Nationalist und Kemalist verhasst - eine Zuschreibung, die er entschieden zurückweist, auch wenn er einige Jahre Mitglied der einst von Mustafa Kemal gegründeten CHP war. Sen fühlt sich missverstanden: Er sei zwar ein vehementer Gegner der kurdischen PKK, aber gleichwohl für einen eigenständigen kurdischen Staat. Kritik gibt es auch an seiner halbherzigen Verurteilung des Genozids an den Armeniern - für Sen zwar "eine Schande für die türkische Geschichte", aber kein Völkermord.
Seine sozialdemokratischen Parteifreunde, die lange ihre Hand über ihn gehalten hatten, nehmen ihm übel, dass er als SPD-Mitglied bei der Oberbürgermeisterwahl 2004 in Gelsenkirchen einen Wahlaufruf zugunsten des CDU-Kandidaten unterschrieben hat. Das brachte ihm seinerzeit sogar ein Parteiausschlussverfahren ein. Sen rechtfertigte sich, er unterstütze mit seinem Wahlaufruf nicht die CDU, sondern einen Politiker, der sich im Ruhrgebiet in beispielloser Weise für die Integration von Zugewanderten einsetze.
So nimmt es nicht Wunder, dass seine immer zahlreicher werdenden Gegner seit längerem nach einem Grund gesucht haben, Sen loszuwerden. Ende vorigen Jahres versuchten sie es mit - mittlerweile entkräfteten - Vorwürfen, er habe Fördergelder für Saufgelage verschwendet. Nun nutzen sie die Steilvorlage, die ihnen Sen mit seinem Juden-Türken-Vergleich geliefert hatte. Da nützte es ihm auch nichts mehr, dass der Zentralrat der Juden in Deutschland nicht nur seine Entschuldigung akzeptierte, sondern zudem auch noch eindringlich Partei für Sen ergriff. Der ungeliebte Direktor muss gehen, auch wenn ihm der achtkantige Rauswurf erspart bleibt.
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