: Farbtupfer als Reste einer Sehnsucht
Bilder, die schwer an der großen Botschaft vom kleinen Glück tragen: Wie Laurent Cantet in „Auszeit“ zeigt uns Otar Iosseliani in „Montag Morgen“ einen Aussteiger, der wieder dort landet, wo er einst aufbrach. Doch der Film bleibt dabei im Allgemeinen
von URS RICHTER
Alle Aussteigerträume sind zu Ende geträumt in einer Welt, die ihre Breaking News und Markennamen bis auf die letzte Insel schwemmt. Robinsonaden liefern allemal noch Stoff für die bunte Seite: „Der Mann, der nie vom Zigarettenholen zurückkam“. Die Utopien der 70er lassen sich nicht mehr erzählen, keiner würde zuhören. Konsequenterweise endet etwa der Held in Laurent Cantets Film Auszeit dort, wo seine Flucht einst begann: vor dem Schreibtisch eines Personalmanagers. Und konsequent lässt auch Otar Iosseliani seinen Helden am Montag Morgen wieder an jenes Werkstor klopfen, dem er für ein paar Wochen den Rücken kehrte.
Vincent heißt dieser Held, und Iosseliani zeichnet uns eine plakative Skizze seiner Existenz. Morgens um fünf schon geht der Wecker, mit der fetten Gemahlin fehlt jeder Dialog, die Fabrikarbeit ist ein absurdes Theater. Von ihr kehrt Vincent müde heim, schleicht durch Haus und Hof wie ein unwillkommener Gast. „Geh weg, fass nichts an“, raunzen ihm die eigenen Bälger entgegen und Papa verkrümelt sich ins Atelier. Im Halbdunkel stauben dort die Reste seiner Sehnsucht ein, einige Leinwände, einige Farbtuben und die Palette.
Da verabschiedet sich Vincent bis auf weiteres aus seinem Film und wird erst zur Halbzeit wieder auftauchen, als Reisender in Venedig. Die große dramaturgische Pause dazwischen verbummelt Iosseliani mit Impressionen des französischen Dorflebens. Genauer: mit dem, was wir uns von diesem Dorfleben schon immer haben vorstellen sollen. Fahrende Gesellen tragen ein Krokodil durch Vorgärten, der Postbote sieht aus wie Monsieur Hulot, der Heuwagen ist Hochzeitskutsche, Omis in roten Sportflitzern terrorisieren dicke, gemütliche Spaziergänger, und aus einem undefinierten Off ertönen Chansons, Arien und das Muhen zufriedener Kühe. So etwas kann funktionieren, wenn es mit der Verve und der Musikalität eines Kusturica inszeniert wird. Iosseliani aber zupft hier eine Saite, tupft dort ein bisschen, und wer die angestrebte Leichtigkeit in all dem nicht erkennen mag, wird das bemängeln.
In der Lagunenstadt fängt Iosseliani seinen Vincent endlich wieder ein und setzt ihn statt neuen Ideen nur abgestandeneren Einfällen aus: abgewracktem Adel, sangesfesten Soldatenrunden, einer geheimnisvollen Dame in Schwarz, transvestitischen Künstlern, einer weinseligen Herrenpartie, die durch Klosterhecken kiebitzt und den Nönnlein unters Gewand. Prompt intonieren die Zupfgeigenhansel das Lied vom Mägdlein und dem Mönch.
Montag Morgen richtet sich irgendwie gegen alles. Gegen die Kälte unter den Menschen („In meinem Land wird Wein nur noch für gastronomische Zwecke genutzt.“), gegen die Monotonie der Arbeit, die Phantasielosigkeit der Liebe, das Älterwerden. Ließe Iosseliani durchblicken, dass er des Allgemeinen und damit Unbestimmten seines Rundumschlags gewahr ist, wäre die Vagheit des Films womöglich zu verstehen: als milder Kommentar zu verblassten Protestnoten früherer Jahre. Aber solche Distanz lassen die Bilder erst gar nicht erkennen. Ihrerseits nostalgisch schwelgen sie im Schmutziggrün überbrückter Kanäle, im Halbschummer angefressener Medicipracht oder klettern mit einer Flasche vom guten Roten in den Sonnenuntergang über Venedigs Dächer.
Vincents Sprachlosigkeit, so scheint‘s, findet ihr dialektisches Gegenstück in der übervollen Beredsamkeit der Bilder, sie tragen nun die große Botschaft vom kleinen Glück. Wenn Aussteigerträume am Ende sind, will Iosseliani wohl sagen, soll wenigstens die Kunst noch weiterträumen. Womöglich ist man zum Schluss aber eingeschlummert im Kinosessel.
täglich, 20.30 Uhr, 3001