Fangquoten: EU fischt eigene Meere leer
Ein von der EU in Auftrag gegebener Bericht kommt zu einem vernichtenden Urteil über die Fischereipolitik. Forscher kritisieren "viel zu hohe Fangquoten".
STOCKHOLM taz Die gemeinsame Fischereipolitik der EU ist ein Fiasko. Neue Beweise dafür liefert ein offiziell noch unter Verschluss gehaltener Rapport im Auftrag der EU-Kommission. Im Vorfeld der erneuten Verhandlungen über die Fangquoten, zu denen sich die Landwirtschafts- und Fischereiminister am Dienstag in Luxemburg treffen wollen, sickerten über Medien in Schweden und Norwegen erste Ergebnisse durch. Danach warnen die Verfasser, dass 81 Prozent des Fischbestands in EU-Gewässern überfischt ist.
Damit gelang es der EU deutlich schlechter als beispielsweise Australien, Kanada oder den USA, die Interessen ihrer Fischereiwirtschaft mit einem langfristigen Bestandschutz zu vereinbaren. In den US-Gewässern seien 25 Prozent der Fischbestände, 45 von 180 Arten, überfischt, schreiben der britische Fischereiexperte David Symes von der Universität Hull, und Michael Sissenwine, Direktor eines ozeanografischen Instituts in den USA. In der EU dagegen sind 35 von 43 untersuchten Arten akut in ihrem Bestand bedroht. Nicht berücksichtigt wurde dabei der Mittelmeerbestand.
Der von der EU verwaltete Nordostatlantik wird von den beiden Forschern als das am "rücksichtslosesten leergefischte Meer der Erde" bezeichnet. Dabei lägen gerade für diese Region wissenschaftliche Unterlagen vor, nach denen es hier leichter als in vielen anderen Meeresregionen möglich wäre, die Bestände nachhaltig zu regulieren. Doch Brüssel missachte die Empfehlungen der Forscher und genehmige weiterhin viel zu hohe Fangquoten, weil sie dem Druck der Fischereilobby nichts entgegenzusetzen habe.
Zu allem Überfluss führt dieser Raubzug der EU nach dem Urteil von Sissenwine und Symes nicht etwa zu einer lohnenden Fischwirtschaft. Deren Rentabilität sei mit einer Profitrate von gerade einmal 6,4 Prozent deutlich schlechter als die aller anderen vergleichbaren Fischfangnationen. Sissenwine: "Jeder Wert unter 10 Prozent gilt im internationalen Maßstab als ausgesprochen kläglich."
Staffan Danielsson von Greenpeace Skandinavien zeigte sich kaum überrascht von den Ergebnissen des Berichts: "Das bestätigt unsere Auffassung, dass sich die gemeinsame EU-Fischereipolitik als Leerfischungspolitik erwiesen hat." Die EU vernichte nicht nur die Meeresressourcen, sondern auf längere Sicht auch ihre Fischereiwirtschaft selbst.
Dass Brüssel nun schärfer gegen Länder vorgehen will, die ihre Fangquoten nicht einhalten, ist nach Meinung des norwegischen Fischereiexperten Nils Torsvik zwar erfreulich, aber auch nicht mehr als ein Herumdoktern an den Symptomen: "Die Geschwulst selbst lässt man weiter wuchern."
So hatte Brüssel zwar schon 2002 erkannt, dass die EU-Fischfangflotte zu mindestens 40 Prozent überdimensioniert ist - und daraufhin die Abwrackung von Booten subventioniert. Zugleich förderte die Kommission aber Subventionen für die Modernisierung vorhandener Fischfangschiffe - in doppelter Höhe der Abwrackprämien.
Eine bestandskräftige Fischereipolitik sei so lange zum Scheitern verurteilt, solange man sie dem "Kuhhandel der nationalen Fischereiminister" überlasse, sagte Sissenwine. Denn diese hätten nichts anderes im Sinn, als so viel wie möglich für die eigenen Fischer herauszuholen.
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