Fälscher etc.: Cardin adelt Flohmarktfund zu echtem van Gogh
■ Ein glücklicher Zufall und seine unglückliche Wahrscheinlichkeit
Wer den blumigen Schilderungen des privaten Pariser Ausstellungshauses „Espace Cardin“ folgt, darf sich die Szene getrost wie in einem zweitklassigen Hollywoodfilm vorstellen: Es war einmal ein Italiener mit dem wohlklingenden Namen Francesco, der bummelte eines Tages vor drei Jahren mit seiner nicht minder hübsch heißenden französischen Freundin Valérie über einen Flohmarkt im Süden Galliens. Und als die beiden Verliebten so von Stand zu Stand bummelten, da entdeckten sie plötzlich an einem der Stände ein Skizzenbuch. Die darin enthaltenen Zeichnungen gefielen ihnen, und als sie das für 400 Francs erstandene Konvolut zu Hause noch einmal genauer in Augenschein nahmen, erkannten sie sogar die Signatur, die der Künstler auf seinen filigranen Werken hinterlassen hatte: „Vincent“ stand dort mit schwarzer Tusche auf das weiße Papier geschrieben. Den Namen hatten sie doch schon einmal gehört...
Am Donnerstag dieser Woche nun soll das Märchen vom Millionenfund auf dem Flohmarkt echte Wirklichkeit geworden sein. Das jedenfalls wollte eine international besetzte und gut besuchte Pressekonferenz in der Pariser „Espace Cardin“ nach Meinung ihrer Veranstalter zweifelsfrei belegen. Tatsächlich präsentierte das vom französischen Alles-Designer Pierre Cardin finanzierte Kunstinstitut neben den Originalzeichnungen auch ein umfangreiches Gutachten, in dem sich ExpertInnen aus Kriminalforschung und Kunstgeschichte für die Zuschreibung der sechs Tuschfederzeichnungen an van Gogh aussprechen. Die Expertise sei „judiciaire“, richterlich anerkannt also, betonten die Akteure dabei immer wieder – jede Zweifel an der Zuschreibung an van Gogh könne damit ebenso ausgeschlossen werden wie alle Fälschungsvorwürfe.
Zwei Jahre hatten sich die mit der Untersuchung beauftragten Spezialisten des französischen Innenministeriums, der Fälschungsexperte der Staatsdruckerei und die „Police Scientifique de Paris“ Zeit genommen, um das verarbeitete Material mit modernsten analytischen Methoden auf seine Echtheit hin zu untersuchen. Als Ergebnis kam dabei heraus, daß das verwendete Papier tatsächlich aus dem 19.Jahrhundert stammt. Madame Pinet setzte sich in dieser Zeit ausschließlich mit der Frage auseinander, ob die auf einem der Blätter dargestellten Arleser Trachten tatsächlich detailgetreu wiedergegeben sind. Auch ihre positiven Forschungsergebnisse dienten als Beweis für die Authentizität.
Gleichzeitig lieferten Grafikexperten des Louvre, vom Museum Boymans in Rotterdam und der Universität von Lausanne den kunsthistorischen Hintergrund: Schon im Mai 1888 hatte Vincent seinem Bruder Theo van Gogh brieflich von der Idee berichtet, je sechs, zehn oder zwölf Zeichnungen in Leporelloform „wie die Zeichenhefte mit den echten japanischen Zeichnungen“ zusammenzufassen. Angeblich zwei dieser Bilderbücher entstanden in Arles: eines für den Malerfreund Emile Bernard und eines für Paul Gauguin, der eine Zeit lang mit van Gogh in dessen gelbem Haus zusammenlebte. Und eben dieses Exemplar für Gauguin, in dem er dem bewunderten Kollegen den „unveränderlichen Charakter dieser Landschaft“ exemplarisch vorführen wollte und das bis dato als nie ausgeführt oder als verschollen gegolten hatte, wollen Francesco und Valérie nun auf dem südfranzösischen Flohmarkt gefunden haben.
Zweifel an dem kuriosen Fund sind angebracht: Angeblich enthält das Zeichenheft eine Monotypie. Es gibt aber kein einziges Indiz dafür, daß van Gogh jemals in dieser Drucktechnik gearbeitet hat. In Arles jedenfalls dürfte der weitgehehend isolierte Maler dazu weder Gelegenheit noch Geld gehabt haben. Und warum etwa hätte Gauguin, ein Raffzahn sondergleichen und aus chronischem Geldmangel gezwungen, vor allem Theo van Gogh pausenlos anzuschnorren, die ihm angeblich von Vincent geschenkten Zeichnungen nach ihrem Zerwürfnis einfach in Südfrankreich zurücklassen sollen? Entgegen anderslautender Überlieferung war van Gogh zu diesem Zeitpunkt bei seinen Pariser Malerkollegen bereits angesehen – seine Werke waren ganz und gar nicht wertlos (siehe taz vom 14.Oktober 1992). So war es Gauguin auch nicht zu mühsam, das ihm geschenkte Selbstbildnis van Goghs mit nach Paris zu nehmen, um es dort schnell an den Kunsthändler Ambroise Vollard zu verscherbeln.
Der eigentliche Beweis für die Nicht-Authentizität der in Paris gefeierten Entdeckung aber ist ihre gnadenlos schlechte Qualität. Wie im VHS-Aquarellkurs lieblos aufs Papier hingekotzt, weisen sie für van Gogh völlig untypische Stilmerkmale auf: Der Horizont liegt zu tief, die Bäume sind zu filigran, das Wasser spiegelt zu realistisch. Merkwürdigerweise sind die Blätter samt und sonders signiert. Van Gogh, der selbst bei Gemälden mit seiner Unterschrift äußerst sparsam umging, hätte sie nie für solch drittklassige Schmierblätter vergeudet.
Für das „Van Gogh Research Project“, das im Amsterdamer Van Gogh-Museum zur Zeit am neuen Werkkatalog des Niederländers arbeitet, steht deshalb fest, daß die in Paris präsentierten Zeichnungen auf gar keinen Fall echt sein können: „Diese schlechten Skizzen sind bestimmt nicht von van Gogh“, faßt Sjraar van Heugten die vor allem stilkritischen Bedenken zusammen. „Material dieser Art bekommen wir jede Woche zur Begutachtung vorgelegt, das kennen wir schon. Und kein wirklich renommierter Van-Gogh-Experte wie Ronald Pickvance, Roland Dorn oder Johannes van der Wolk hat das angebliche Skizzenbuch anerkannt.“ Von der „Espace Cardin“ wurden die Amsterdamer Experten deshalb vorsichtshalber erst gar nicht um ein Gutachten gebeten: „Museen stellen sowieso keine Expertisen aus“, lautete dafür die Begründung aus Paris.
Dort wird nun im kommenden Frühjahr eine Ausstellung der sechs falschen Van-Gogh-Zeichnungen beginnen. Anschließend sollen die Blätter, die nach wie vor Francesco und Valérie gehören, um die Welt reisen, um Geld einzuspielen – fast wie auf dem Flohmarkt. Stefan Koldehoff
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