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Archiv-Artikel

Fachkompetenz nicht gefragt

RUNDER TISCH Das Bundesfamilienministerium hat Einladungen für den runden Tisch zum Kindesmissbrauch verschickt. Bekannte Opferberatungsstellen haben keine bekommen

„Die Liste ist vertraulich“, sagt ein Sprecher von Bundesfamilienministerin Schröder

VON EIKEN BRUHN

BREMEN taz | „Breit aufgestellt“ sein soll der „runde Tisch Kindesmissbrauch“ von Familienministerin Kristina Schröder (CDU). Am Dienstag trudelten die ersten Einladungen ein. Wer genau eine bekommen hat, verrät das Ministerium nicht. Sicher ist aber, wer nicht dabei sein wird: Beratungsstellen wie Wildwasser, Tauwetter, Zartbitter, Schattenriss, Zündfunke – diejenigen, die sich seit zwanzig Jahren mit sexualisierter Gewalt beschäftigen, die Opfer beraten, MitarbeiterInnen von Schulen und Kirchen fortbilden. Vertreten werden sollen sie nur über den Mainzer Professor für Sozial- und Strafrecht, Wolfgang Feuerhelm, den Vorsitzenden des Dachverbands „Deutsche Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung und -vernachlässigung“.

Zusätzlich müssten dringend PraktikerInnen gehört werden, kritisieren MitarbeiterInnen der genannten Beratungsstellen. „Man muss doch wissen, was diese Menschen erlebt haben und wie man Missbrauch verhindern kann“, sagt Rita Schilling von Wildwasser in Oldenburg. Tatsächlich stehen laut Familienministerium genau diese Fragen auf der Tagesordnung am 23. April: „Welche Hilfe und Unterstützung benötigen die Opfer? Was befördert Übergriffe auf Kinder und Jugendliche und wie lassen sie sich vermeiden?“ Antworten könnte die Ministerin von ihr und ihren KollegInnen bekommen, sagt Schilling. „Von wem denn sonst?“

Niemand der ExpertInnen ist verwundert über das Ausmaß des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche. „Mir war bis auf eine Ausnahme jeder dieser Fälle bekannt“, sagt Ursula Enders. Sie gründete 1987 die Kölner Beratungsstelle Zartbitter und ist empört darüber, dass ihre Expertise nicht gefragt ist.

Thomas Schlingmann hingegen wundert sich nicht, dass er nicht gehört werden soll. „Schließlich kosten wir Geld.“ Er arbeitet beim Berliner Verein Tauwetter, der Männer berät, die als Jungen sexuell missbraucht worden sind. In den ersten beiden Monaten dieses Jahres meldeten sich so viele Betroffene wie im zweiten Halbjahr 2009.

Ähnliche Erfahrungen machen die Berater der bundesweiten Hilfe-Hotline N.I.N.A.. Die zwar von Ministergattinnen in Talkshows beworben wird, aber keine öffentliche Förderung erhält. „Wir bekommen täglich bis zu 15 zusätzliche Anrufe von Menschen, die von Angestellten der katholischen Kirche missbraucht wurden“ sagt N.I.N.A.-Geschäftsführerin Silke Noack. 90 Prozent der Betroffenen seien Männer. Noack: „Der jüngste war 42, der älteste 81.“

Auch sie erklärt ihre „Fassungslosigkeit“ angesichts der bislang bekannten Besetzung des runden Tischs. Vertreter von Familienverbänden, Schul- und Internatsträgern, katholischer und evangelischer Kirche, den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege, der Ärzteschaft, der Länder und Kommunen sowie des Deutschen Lehrerverbands, wie das Ministerium in einer Mitteilung schreibt. „Die Seite der Opfer wird vertreten sein“, sagt Schröders Sprecher Marc Kinert, aber nicht, durch wen. „Die Liste der Eingeladenen ist vertraulich.“