Facebook an der Börse: Die Jahrhundertwette
Anleger hoffen, Experten zweifeln: Ist Facebook 100 Milliarden Dollar wert? Um die hohen Erwartungen zu erfüllen, muss Facebook 1,4 Milliarden Chinesen vernetzen.
BERLIN taz | Facebooks Börsengang ist eine 100-Milliarden-Dollar-Wette, die vor acht Jahren in einer Studentenbude an der Harvard-Universität begann. Seitdem hat sich Facebook zum weltgrößten Online-Netzwerk entwickelt, das nach Angaben des Unternehmens von jedem achten Menschen auf dem Planeten genutzt wird.
Wäre Facebook ein Land, dann wäre es nach China und Indien das Drittgrößte der Welt. Dieser virtuelle Kontinent existiert nur auf den Festplatten von Facebooks Rechenzentren. Dort hat das Unternehmen Billiarden privater Daten seiner Nutzer unbegrenzt lange gespeichert.
Die Daten der Kunden und ihre bedingungslose Vermarktung ist der Schatz, der die Fantasie der Kapitalanleger antreibt. Denn im Kern ist Facebook eine Werbeplattform mit 900 Millionen registrierten Nutzern.
Februar 2004: Der Harvard-Student Mark Zuckerberg, der in seinem Studentenzimmer das Online-Netzwerk entwickelt hat, schaltet Facebook online. Zunächst können nur Studenten ausgewählter Universitäten den Dienst nutzen.
Mai 2005: Facebook erhält 12,7 Millionen Dollar Risikokapital.
September 2005: Angebot wird auf US-High Schools ausgeweitet.
September 2006: Netzwerk wird weltweit für Nutzer ab 13 Jahre geöffnet.
Oktober 2007: Microsoft bezahlt für 1,6 Prozent der Anteile 240 Millionen Dollar. Der Unternehmenswert steigt auf 15 Milliarden Dollar.
August 2008: 100 Millionen registrierte Nutzer.
Mai 2009: Die russische Investmentfirma Mail.ru Group investiert 400 Millionen Dollar.
Dezember 2009: Neuer Gewinnrekord: 229 Millionen Dollar.
Juli 2010: 500 Millionen registrierte Nutzer.
Dezember 2010: Der Gewinn steigt auf 606 Millionen Dollar.
Januar 2011: Die US-Investmentbank Goldman Sachs investiert 500 Millionen Dollar.
Dezember 2011: Der Gewinn steigt auf 1 Milliarde Dollar.
April 2012: 900 Millionen registrierte Nutzer.
18. Mai 2012: Facebook geht an die Börse. (TA)
Vergoldete Vision
Allem Anschein nach haben der Medienhype der vergangenen Wochen und die Auftritte von Mark Zuckerberg vor Investoren die gewünschte Wirkung erzielt, sodass er seine Vision von einem globalen, personalisierten Werbeuniversum heute vergolden kann.
In der Zeichnungsfrist vor dem Börsengang haben potenzielle Käufer verpflichtend erklärt, zu welchem Maximalpreis sie wie viele Aktien kaufen möchten. Nachrichtenagenturen berichten über die vertraulichen Vorbereitungen, dass die Nachfrage nach der Facebook-Aktie das Angebot übersteigt.
Ursprünglich sollte das Papier zwischen 28 und 34 US-Dollar kosten. Wegen der offenbar großen Nachfrage erhöhte Facebook die Preisspanne am Mittwoch jedoch auf 34 bis 38 Dollar, um sich kurz danach auf 38 Dollar festzulegen. Schon tags zuvor wurden angeblich keine neuen Kaufaufträge mehr angenommen. Zudem sollen heute ein Viertel mehr Aktien auf den Markt kommen als ursprünglich angekündigt, berichten Insider.
Mit den 421 Millionen Aktien, die Facebook mit seinem Börsengang auf den Markt bringt, könnte das Unternehmen bis zu 18 Milliarden Dollar einnehmen. Das wäre nicht nur der bislang erfolgreichste Börsenstart eines Unternehmens an der US-Technologiebörse Nasdaq, sondern der drittgrößte in der US-Wirtschaftsgeschichte: Mehr Geld haben nur das Kreditkartenunternehmen Visa (2008, 19,7 Milliarden Dollar) und der wiederauferstandene Autohersteller General Motors (2010, 18,1 Milliarden Dollar) eingenommen.
Zum Erfolg verdammt
Mark Zuckerberg selbst bringt nur wenige Prozent seiner Unternehmensaktien auf den Markt. Auch nach dem Börsengang behält er auf allen Entscheidungsebenen das letzte Wort, denn er verfügt weiterhin über 57,3 Prozent der Stimmrechte. Im Vorfeld waren vor allem professionelle Anleger skeptisch: Die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg fragte 1.253 Investoren, wie sie den von Facebook angestrebten Unternehmenswert beurteilen: 79 Prozent halten das Unternehmen für überbewertet.
Sollte das soziale Netzwerk dennoch heute an der Nasdaq so erfolgreich starten wie es sich andeutet, dann ist das Unternehmen aber auch zum Erfolg verdammt: Der angestrebte Unternehmenswert von 100 Milliarden Dollar beträgt das Hundertfache des im vergangenen Jahr erzielten Gewinns – eine wahnwitzige Bewertung. Zum Vergleich: Der Marktwert des Konkurrenten Google beträgt das 17-Fache seines tatsächlichen Jahresgewinns. Dabei verdient Google jährlich zehnmal so viel Geld wie Facebook.
Der Grund für die enormen Vorschusslorbeeren der Anleger sind die in Zukunft erwarteten Gewinne.
Optimisten rechnen mit zwei bis drei Milliarden Facebooknutzern und einem Umsatz von 15 Milliarden Euro im Jahr 2015. Sie sehen in der astronomischen Bewertung des Unternehmens, das nichts Greifbares produziert und so gut wie keine eigene Infrastruktur besitzt, ein Abbild eines grundlegenden wirtschaftlichen Wandels. Die großen Gewinne werden in dieser virtuellen Welt mit den Kaufentscheidungen der Konsumenten gemacht, die immer mehr Geld für Unterhaltung und Kommunikation ausgeben.
„Um die 100-Milliarden-Dollar-Bewertung zu rechtfertigen, muss Facebook neue Einnahmequellen mit steilen Wachstumsraten erschließen“, sagt der Analyst Jed Williams von BIA/Kelsey. Doch wie das gehen soll, darüber rätseln viele Beobachter.
Vieles deutet darauf hin, dass Facebook sein Wachstumstempo nicht halten kann. Erstmals waren Gewinn und Umsatz im ersten Quartal 2012 im Vergleich zum Vorjahr rückläufig. Dabei hat das Unternehmen vor drei Jahren überhaupt einen ersten Gewinn erzielt.
85 Prozent seines 3,7-Milliarden-Dollar-Umsatzes erzielte das Netzwerk 2011, indem es Werbung auf den Bildschirmen seiner Nutzer einblendete. Doch das Werbegeschäft läuft schleppend, denn die Nutzer ignorieren Werbung überdurchschnittlich häufig. Nur fünf von 10.000 Mitgliedern klicken auf eine eingeblendete Werbung. Nachrichtenseiten schaffen das Doppelte. Erste Anzeigengroßkunden wie General Motors hat das Unternehmen bereits verloren.
Zudem rächt es sich, dass das Unternehmen den Trend zu mobilen Endgeräten unterschätzt hat. Fast jedes zweite Facebook-Mitglied nutzt den Dienst mittlerweile auf einem Smartphone oder Tablet. Doch ein mobiles Werbekonzept kann die Firma nicht vorweisen. Entsprechend laufen die Einnahmen aus diesem Drei-Milliarden-Dollar-Markt gegen null, dessen Volumen sich in der Vergangenheit jährlich verdoppelt hat.
Gefahr für das Unternehmen
Auch der chronisch unsensible Umgang mit den privaten Daten seiner Nutzer könnte zu einer Gefahr für das Unternehmen werden. In seinen Geschäftsbedingungen sichert sich Facebook zu, alle Inhalte und Daten seiner Kunden kommerziell zu nutzen und die Nutzungsrecht an Dritte weiterzugeben. „Die Geschäftspraktiken, mit denen das Netzwerk die informationelle Ausbeutung seiner Nutzer betreibt, sind in Deutschland und Europa illegal“, sagt Thilo Weichert. Der Landesbeauftragte für Datenschutz in Schleswig-Holstein geht davon aus, dass Facebooks systematische Verstöße gegen Datenschutzgesetze zumindest in Europa beendet werden.
Mittlerweile stehe auch die EU-Kommission auf der Seite der Datenschützer. „EU-Kommissarin Viviane Reding hat die europäische Datenschutzgrundverordnung initiiert. Sie wird effektive Mittel gegen diese Verstöße bereitstellen“, sagt Weichert. Er ist überzeugt davon, dass sich Facebook diesen Auflagen beugen müsse oder vom europäischen Markt verschwinden werde.
Auf dem gesättigten Markt der industrialisierten westlichen Länder verspricht sich der kalifornische Konzern allerdings keine großen Wachstumsperspektiven. Die hohen Erwartungen seiner Anleger kann Facebook nur erfüllen, wenn es in Zukunft vor allem gen Asien erfolgreich ist.
Nun wird Mark Zuckerberg beweisen müssen, ob er es schafft, 1,4 Milliarden Chinesen zu vernetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen