FRÜHSTÜCKSGEDRÄNGE : Tempel der Gerüche
„Wir sollten uns nicht …“, will ich noch sagen, da ist mein Begleiter schon in der Menschenmenge verschwunden. Einen Moment überlege ich, ihm durch die Kreuzberger Markthalle nachzurufen, entscheide mich dann aber, Mitmenschen und Stimmbänder zu schonen, und murmle zu mir selbst: „… verlieren.“
Das Übermaß an Geräuschen und Gewusel macht mir bewusst, was für eine blöde Idee es war, mit nüchternem Magen herzukommen. Bei Facebook gab es Zusagen im vierstelligen Bereich, im gefühlt fünfstelligen sind die Jünger des Sunday-Breakfast-Markets ins Innere ihres Tempels gepilgert. Nun bleibt mir nichts anderes übrig: tief durchatmen, abtauchen, mich durch ein Labyrinth an Ständen und querlaufenden Touristengruppen winden, die Gläser voll kunstvoll drapiertem Milchschaum zu wackligen Marktstandtischen balancieren. Auf halbem Weg ins Epizentrum des Tumults blicke ich zurück und stelle mir vor, wie Hunderte Frühstücksmägen sich durch die schmalen Ausgänge drängen. Ich schließe die Augen und lasse innerlich drei Oms verklingen.
Indische Currydämpfe steigen mir in die Nase, dann der Geruch von Sauerkraut – das soll alles Frühstück sein? Als ich mich von meinen Nasenflügeln in Richtung Kaffee und Croissants lotsen lasse, kollidiere ich mit meinem Bekannten. Mit beeindruckendem Stoizismus beim Schlangestehen hat er sich ein Quinoa-Kürbis-Törtchen erkämpft. Aus der Tiefe der Markthalle dringt ein Jubelschrei zu uns: ein Familienvater hat sich eine Sitzbank erobert, eingepasst zwischen Müllskulpturen und der Kinderzone, wo nahe der Plastikrutsche noch größeres Gedränge herrscht als vor dem Tofuburger-Stand. „Wir sehen uns später“, raune ich und fliehe an die frische Luft. Beim Späti gegenüber gibt’s Baklava und soliden Filterkaffee. Draußen sogar eine Holzbank: Sonntagmorgen, Sonnenschein. MIRJA GABATHULER