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Archiv-Artikel

FRÜHLING IM BROOKLYNER PROSPECT PARK Brot im Teich, Gleitgel im Dickicht und die Tüte der „Times“

Bridge & Tunnel

VON OPHELIA ABELER

Es wird wärmer, besonders im Vale of Cashmere. An kaum einem anderen Ort sieht man dem Knospen und Sprießen von Blättern und Trieben ungeduldiger entgegen als hier, denn Blattgrün bedeutet: Deckung. Das Kaschmirtal liegt im Brooklyner Prospect Park und wird auch „a slice of Babylon“ genannt. Bei Schwulen ist es als Cruising Area beliebt, speziell bei schwarzen Schwulen.

Der Prospect Park ist eine Familien-, Hundebesitzer-, Picknicker- und Birdwatcher-Oase. Sonntags gehen hier die Mitglieder der jüdisch-orthodoxen Gemeinden spazieren. Von jedem, den man hier sieht, ist offensichtlich, was er hier tut – aber diese vereinzelten schwarzen Männer, die mit schlaff am Rücken baumelnden Rucksäcken auf Baumstämmen hocken wie Schulschwänzer? Und die, nur um Mutti hinters Licht zu führen, überhaupt noch einen Ranzen mitnehmen? Ein genauerer Blick in die Büsche zeigt, was wirklich in den Rucksäcken steckte: Kondomverpackungen, benutzte Kondome, Poppersfläschchen, leere Tuben Gleitmittel.

Letztes Jahr um diese Zeit lachte sich die Stadt über den Litter Mob kaputt, eine Handvoll junger Leute, die sich zusammengetan hatten, weil sie die Verwahrlosung nicht mehr mitansehen konnten. Der Litter Mob legte einen Weg zum Vale of Cashmere an, der als „der Weg zum schnellen Sex“ verspottet wurde. Er sollte den vielen Trampelpfaden und dem Unrat rechts und links davon ein Ende machen und zarte Grünpflanzen schützen.

Der Weg wird benutzt, der Litter Mob hat trotzdem aufgegeben. Nach Hurricane Sandy im Herbst hat Aufräumen eine andere Dimension. Es gibt jetzt sehr viele umgestürzte Bäume, auf denen man sitzen kann. Mit der zunehmenden Wärme werden es auch mehr Männer, die sich im wachsenden Dickicht verstecken, und mehr Mütter mit Kindern, die sich aufgrund des neuen Wegs ins Vale of Cashmere verirren und die Männer mit heruntergelassenen Hosen zum Erschrecken aller Beteiligten aufstöbern. Ein Blogger schlug neulich halb im Ernst vor, explizite Wegweiser zum Cruisinggebiet anzubringen, damit eben dies nicht passiert. Darauf folgte eine Debatte über Homophobie, die geprägt war von falsch verstandener Political Correctness und sagenhafter Humorlosigkeit.

Inzwischen ist sie aber unter dem neuesten Prospect-Park-Aufreger begraben: Der Parksprecher Paul Nelson – ja, der Park hat einen Sprecher! – mahnte in einem offenen Brief an, sich vor Pessach bitte nicht der Brotreste in den Teichen des Parks zu entledigen, wie es jedes Jahr geschieht und auf vielen Fotos im Postkartenstil festgehalten ist: Männer mit wagenradgroßen Pelzhüten stehen neben den zahlreichen „Don’t feed waterfowl“-Schildern und werfen den Wasservögeln kiloweise das Brot zu, das sie ab sofort für eine Woche nicht mehr essen dürfen. Niemals käme so etwas vor, blaffte der Vorsitzende einer Vereinigung jüdischer Anwälte: man solle sich gefälligst mit den Pessachbräuchen vertraut machen, das Brot werde verbrannt, nicht ins Wasser geworfen. Ein Kollege fügte hinzu: Außerdem habe man den Enten etwas Gutes tun wollen.

Müll und Brot hin oder her: So aufgeräumt und dazu noch hundekotfrei ist in Deutschland kein öffentlicher Park. Das liegt vielleicht nicht nur an den drakonischen Geldstrafen für das Liegenlassen von Dingen jeglicher Art, sondern auch an dem günstigen Preis für das New-York-Times-Abo, billiger als eine Jahresration „Poop bags“, und praktischerweise jeden Morgen auf der Türschwelle platziert, so dass man sie gar nicht vergessen kann. Hundebesitzer im Prospect Park = Abonnent, zu erkennen an der länglichen blauen Tüte.

Die Tüte ist für viele vermutlich der eigentliche Grund für ein Abonnement der Times. Bevor man die Hundehaufen (oder was auch immer) reintun kann, muss man nur die Zeitung herausnehmen. Die Zeitung wiederum hat den Zweck, einem klarzumachen, dass so ein Park keine grüne Insel ist, keine Oase, kein Erholungsgebiet und erst recht kein Gegenentwurf zu all den Reibereien, die das Leben in der großen Stadt so mit sich bringt. Ganz im Gegenteil: Kein Konflikt zwischen den Rassen, Kulturen, Geschlechtern, Alterskohorten und Einkommensschichten, der hier nicht zuerst seine Blüten treiben würde. Der Unterschied ist nur: Hier zwitschern Vögel im Hintergrund, und das viele Grün beruhigt die erregten Nerven.

Ophelia Abeler ist Kulturkorrespondentin der taz in New York