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Archiv-Artikel

FREITAGNACHT AUF EINER QUEEREN TECHNOPARTY TANZEN GEHEN? Party-People am Ostkreuz

Wir performen eine Party

VON FATMA AYDEMIR

Lesen macht asozial. Okay, ein gutes Buch kann durchaus aufregende Denkanstöße geben, die sich im Gespräch mit Freunden teilen und ausführen lassen. Aber im Club wird getanzt und getrunken und auf Toilette gegangen. Da wird nicht über Romane gesprochen. Warum eigentlich?

Die Schlange vor dem ://about blank reicht Freitagnacht fast bis an den Eingang der S-Bahn-Station Ostkreuz. Einmal im Monat findet hier die Homopatik statt, die eine ziemlich beliebte Party ist, aber so eine Menschenmenge habe ich noch nie gesehen. Möglichst lässig versuche ich mit M., G. und C. im Schlepptau an der mit Pelz besetzten und dark geschminkten Schlange vorbei direkt an den Stand mit der Gästeliste zu schlendern. „Hallo“, sage ich mit einem gezwungenen Lächeln, während ich drei Treppenstufen hochspringe. Bei der dritten stolpere ich. Der breitschultrige Türsteher wirft mir einen misstrauischen Blick zu: „Alles okay bei dir?“ Meine Augen sind gerötet. Ich weiß, er glaubt, ich hätte zuviel intus. Leider nicht. Ich habe einfach zu viel gelesen. Er stempelt mir ein gefaketes RAF-Logo in die Handinnenfläche und wünscht mir viel Spaß.

Rauch qualmt uns entgegen. Schöne Männer mit Bart und schöne Männer ohne Bart knutschen und tanzen euphorisch zu Aufwärm-House. Es ist 2.30 Uhr, zu früh für die richtigen Bretter, aber den jungen Menschen ist das egal, sie geben auch zu langweiliger Übergangsmusik alles. M. und ich versuchen mitzumachen, G. und C. nicht so richtig. Die beiden DJs hinter dem Pult könnten Brüder sein, sie haben zutätowierte Arme und rauchen Kette. Hinter ihnen leuchten drei blaue Neonröhren.

In dem Roman, den ich an diesem Tag unbedingt zu Ende lesen wollte (es aber nicht schaffte, weil er zu lang und zu gut war), gab es eine Kellnerin, die zugab, gar keine Kellnerin zu sein, sondern bloß so zu tun als ob. Quasi lieferte sie Tag für Tag die Performance einer Kellnerin ab, während sie in kreisförmigen Bewegungen über den Tresen wischte oder den Mitarbeitern in der Küche wortlos zunickte, stets in dem Wissen, dass das Ganze, also ihr Leben, ein einziges Kunstwerk war. Vielleicht ist das hier ja so was in der Art.

So tun, als ob wir feiern, obwohl die Party noch nicht richtig angefangen hat. Das wird sie nämlich nicht vor morgen früh um 10 Uhr. Erst dann verschmelzen die sich kantig aneinander vorbeischiebenden Körper zu einer knetbaren Masse, erst dann kommen unmoralische Angebote von knopfpupilligen Frauen und erst dann tanzen wir in der Trance, die die Müdigkeit in unseren Beinen und die Sinnfreiheit unseres Tuns mit sich bringt – und nicht die überschüssige Energie aus einem produktiv verbrachten Werktag, dessen sauber strukturierte Fortführung das hier letztlich nur ist.

Aber weil wir uns fatalerweise entschlossen haben, schon Freitagnacht auszugehen und zu den Glücklichen zählen, die nicht noch zwei Stunden in der Kälte warten müssen, um an der Tür möglicherweise auch noch abgewiesen zu werden, ist an diesem Ort zu dieser Zeit das einzig Verruchte (denn was sonst suchen wir auf einer queeren Techno-Party am Ostkreuz?) das Team aus zwei Italienern am Kloeingang. Es fragt, ob es einem irgendwie behilflich sein kann – aber das auch eigentlich schon so serviceorientiert und unaufdringlich freundlich, dass es an die Kassiererin bei Rewe erinnert. Kassenbon?

Die überfüllte Tanzfläche wird unaufhörlich mit Nebel zugeballert. Was sollen wir also tun? Genau, wir performen eine Party. Irgendwann, wenn es zu viel wird, können wir uns im schönen Garten des ://about blank auf die tischhohen Betonbuchstaben setzen und eine Raucherpause einlegen. Doch Beton ist kalt und verursacht Blasenentzündung. Also stellen wir uns daneben und lesen: NIE WIEDER DEUTSCHLAND. Wir lesen schon wieder. Performance ist anstrengend. Um 4.30 hüpfe ich ins Taxi und fahre zurück zu meinem Roman. Der RAF-Stempel ist nur noch halb zu sehen, ich darf aber trotzdem rein, als ich am nächsten Tag gegen 12 Uhr zurückkomme. Der Roman ist zu Ende. Die Musik ist großartig.