FRAU HAHN, KASSE 2 : Auf Geschäftstussi
Berlin ist eine arme Stadt, immer mehr Menschen müssen sich mit unsicheren und schlecht bezahlten Jobs über Wasser halten. Zum Beispiel im Lebensmitteleinzelhandel, der für seine miesen Arbeitsbedingungen bekannt ist. Die Zumutungen im Alltag sind in der Branche offenbar so groß, dass die dort beschäftigten Frauen sie nur noch ertragen, wenn sie ab und zu die Sau rauslassen und ihre Erlebnisse, ironisch überhöhend, verarbeiten können – zum Beispiel beim gemeinsamen Feiern am Wochenende.
„Frau Hahn, kommen Sie bitte an Kasse zwei! Eine Preisauskunft!“, grölt grinsend eine junge Frau über den S-Bahnhof Wuhletal, in der rechten Hand eine halbleere Sangria-Flasche schwenkend. Es ist Samstagnacht, sie und ihre zwei Freundinnen – allesamt angetrunken, stark geschminkt und mit grellen Markenklamotten bekleidet – sind auf dem Weg in eine Großdiskothek, die in einem Gewerbegebiet am östlichen Stadtrand liegt. „Frau Ritter“, schreit eine der beiden Freundinnen lachend zurück, „bitte die Wagen aufräumen“! Die mit der Sangria-Flasche erwidert: „Halt die Schnauze, sonst kriegste Hausverbot in unserem Unternehmen!“
Die drei Frauen setzen sich nebeneinander auf eine Bank. „Gib mal dein Handy“, meint die mit der Sangria-Flasche zu ihrer Banknachbarin, „ich hab meins vergessen und will mal Alex anrufen, ob der noch kommt.“ Die Angesprochene holt einen Blackberry aus ihrem Handtäschchen und überreicht ihn ihrer Freundin. Nachdem diese ihre Sangria-Flasche weitergereicht hat, fummelt sie etwas hilflos auf dem berührungssensiblen Bildschirm des fast handtellergroßen Gerätes herum, ohne Alex’ Nummer finden zu können. „Äh, so ein Scheiß, damit kommt doch kein Schwein klar“, beschwert sie sich lautstark. „Wozu hast’n du so’n Ding überhaupt? Willste jetzt einen auf Geschäftstussi machen?“ RICHARD ROTHER