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Archiv-Artikel

FELIX LEE ÜBER POLITIK VON UNTEN Warten auf den Aufstand

Entgegen allen Beschwörungen der Linken trifft die Krise bisher überwiegend die Reichen – noch

Dass die Krise irgendwann im Alltag der Menschen ankommen und früher oder später auch für den entsprechenden sozialen Unmut sorgen wird – das ist zu erwarten. Nicht aber, dass dieser soziale Protest von Reichen ausgeht. So wie in diesen Tagen in Hamburg.

TierschutzaktivistInnen, die seit Jahren regelmäßig vor der Filiale am Neuen Wall des Luxusmodelabels Escada gegen den Verkauf von Pelzmänteln demonstrieren, staunten laut einem Bericht auf dem linken Onlineportal Indymedia nicht schlecht, als plötzlich drei modisch gekleidete GegendemonstrantInnen auftauchten und lautstark forderten, Escada doch endlich in Ruhe zu lassen. Das Modelabel der gehobenen Klasse, das kurz vor der Insolvenz steht, habe es schließlich schon schwer genug.

Damit nicht genug: Auf ihren Pappschildern forderten die DemonstrantInnen, Escada zu retten. Spätestens mit der überzogenen Forderung „Tiere sind zum Ermorden da“ liegt der Verdacht nahe, dass die Aktion von den Tierschützern selbst initiiert wurde, um ihrem wahrscheinlich erlahmten Dauerprotest mal wieder zu neuem Pep zu verhelfen. Reiche demonstrieren halt doch nicht.

Nichtsdestotrotz: Die wirtschaftliche Not bei Escada ist real. Mit der Insolvenz des Luxuslabels ist die Krise bei den Vermögenden angekommen. Seit Monaten prangern Gewerkschaften, Attac und andere an, dass die Leidtragenden der Finanzkrise auch hierzulande die ArbeitnehmerInnen und die sozial Schwachen sein werden. Daran ist nichts falsch. Und was nicht ist, kann ja noch werden. Momentan aber eben noch nicht. Kurzarbeit und Abwrackprämie haben bisher nicht nur ein bisschen, sondern ganz massiv eine soziale Verarmung in diesem Land verhindert. Der durchschnittliche Bundesbürger konsumiert nur unwesentlich weniger als in den Jahren zuvor. Und dass er seinen Sommerurlaub nicht im Fernen Osten verbringt, sondern an der Ostsee, hat eher mit einer diffusen Furcht vor künftig härteren Zeiten zu tun, als dass ihm das Geld tatsächlich schon fehlt.

Bei den Reichen hingegen hat die Krise mit voller Wucht zugeschlagen: Elisabeth Schaeffler beklagt rund 3 Milliarden Euro Verlust, Madeleine Schickedanz hat 1,5 Milliarden Euro verloren, Michael Otto vom Otto Versand soll ebenfalls 3 Milliarden Euro weniger besitzen. Und dass auch das Vermögen der nicht ganz so Superreichen geschrumpft ist, zeigt sich daran, dass eben Luxusmarken wie Escada die Umsätze wegbrechen.

Mitleid ist ganz sicher nicht angebracht. Dafür haben die Vermögenden über ihren Spekulationswahn zu sehr selbst zur Krise beigetragen. Und am Hungertuch nagen werden sie auch künftig nicht.

Was uns das sagt? Dass sozialer Unmut der Mittel- und Unterschichtsmassen erst dann spürbar werden kann, wenn er auch vorhanden ist. Und dass alle höher gesetzten Erwartungen derzeit völlig unrealistisch sind. Aber schon nach der Bundestagswahl könnte alles ganz anders aussehen.

■ Der Autor ist taz-Redakteur für soziale Bewegungen. Foto: Wolfgang Borrs