FAIR AUCH ZU DIEBEN : Klassische Fälle
Das Protokoll ist aufgenommen, der Polizist lehnt sich zurück: „Na, ich hoffe, Sie hatten trotzdem einen schönen Eindruck von Berlin“, sagt er zu S., der mich eine Woche lang besucht hat. Wir nicken müde mit den Köpfen. Das „trotzdem“ gilt dem Umstand, der uns nach Mitternacht in die Polizeiwache gebracht hat. S. fehlt seine Geldbörse samt Rentnerausweis, Diebstahl vermutlich, aus der Gesäßtasche. Auf einer Rolltreppe am S-Bahnhof Unter den Linden ist es wahrscheinlich passiert. Mitten in der Fahrt blieb die Treppe mit einem Ruck stehen, irritiert stolpert jeder vorwärts. Als ich mich umdrehe, stehen hinter S. zwei desinteressiert seitwärts schauende junge Männer. Dass es Diebe gewesen sein könnten, ahnen wir noch nicht, erst als kurze Zeit später S. beim prüfenden Griff auf die Gesäßtasche dort nichts mehr findet.
Klassischer Trick, das mit der Rolltreppe, bestätigt der Polizist. Und verkneift sich übrigens, von der klassischen Blödheit zu reden, sein Geld hinten in die Hosentasche zu schieben.
S. schläft trotzdem gut, erst am Morgen liegt er wach im Bett und ärgert sich. Es ist sein letzter Tag in Berlin, es regnet in Strömen. Wir sind beide ein bisschen traurig. Zum Abschied erzähle ich S. eine Geschichte, die mir E. aus Kreuzberg zugetragen hat. In ihrer Straße parken die Autos unter Bäumen. Und an einem Baum hing ein langer Brief. Der Text ging ungefähr so, sagte E., und rekonstruierte aus der Erinnerung Satz für Satz: „An den Dieb, der mein Auto aufgebrochen hat, das hier geparkt war, während ich in Ferien war. Du hast mein Navi und iPod geklaut. Ich war zwar lange weg, aber mein Nachbar hat Dich vom Balkon aus gesehen und fotografiert. Jetzt hast Du drei Tage Zeit, die Sachen zurückzugeben. Sonst gehe ich mit dem Foto zur Polizei.“
Das ist doch ein faires Angebot. Aber ich weiß nicht, was draus geworden ist.
KATRIN BETTINA MÜLLER