Expertin über ein Gleichstellungsgesetz: "Unternehmensfreiheit ist nicht unbegrenzt"
Wenn Tarifverträge diskriminierend sind, muss eben die Politik handeln, meint die Volkswirtin Friederike Maier.
taz: Frau Maier, die Bilanz zur Chancengleichheit in der Wirtschaft ist bescheiden. Wie kommts?
Friederike Maier: Das Problem ist, dass die Wirtschaft sich nicht bewegt hat. Dass etwas mehr Frauen karriereträchtigere Studienfächer wählen, ist ja nicht ihr Verdienst, höchstens das der Politik. Bei der Wirtschaft dagegen tut sich nichts. Im Gegenteil, man weiß, dass die Berufschancen der Frauen, etwa in der Elektrotechnik oder im Maschinenbau, schlechter sind als die ihrer männlichen Mitabsolventen. Wo die Wirtschaft ins Spiel kommt, sind gar keine Fortschritte zu verzeichnen, bei der gleichen Bezahlung etwa oder bei Frauen in Führungspositionen.
Aber die Unternehmen sollen doch mehr Modelle zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie entwickelt haben.
Aber was sind das für Modelle? Teilzeitarbeit für Mütter in fünf Varianten. Damit haben sie das Grundproblem gar nicht geklärt: Wie können beide Eltern ihre Kinder versorgen und trotzdem gute, qualifizierte Jobs haben? Da müssten sie ja über die Veränderung von typischen Männerarbeitsplätzen nachdenken.
Die Zahl der Chefinnen in großen Unternehmen ist in den letzten Jahren sogar gesunken. Die Regierung will hier trotzdem nicht eingreifen? Richtig?
Wenn wir noch ein-, zweihundert Jahre Zeit haben, dann reicht das. Mir allerdings reicht es nicht. Wir brauchen ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft.
Welchen Inhalts? Quoten für Aufsichtsräte, wie in Norwegen?
Man kann auch eine Nummer kleiner anfangen: Sich etwa für die mittleren und höheren Managementpositionen Zielzahlen setzen. Es gibt nicht nur eine gläserne Decke, es gibt auch gläserne Wände. Meine Wiener Kollegen haben AbsolventInnen der Wirtschaftswissenschaften untersucht: Sie fingen allesamt auf ähnlichem Niveau an, alle waren kinderlos. Nach wenigen Jahren saßen die Männer auf einem Karrierepfad und die Frauen nicht. Männer hatten mehr Verantwortung, mehr Kontakte zum Vorgesetzten, mehr Fortbildung. Nach fünf Jahren verdienten die Männer 20 bis 25 Prozent mehr.
Haben sich die Frauen vielleicht karrierescheuer verhalten?
Das tun aber nicht alle Frauen. Das ist ein Vorurteil, das auch in Chefköpfen sitzt. Viele Frauen sind sehr ehrgeizig. Aber die Vorgesetzten haben die Frauen oft überhaupt nicht im Auge.
Die Wirtschaft findet, Quoten seien ein Eingriff in ihre Unternehmensfreiheit.
Die Unternehmensfreiheit ist nicht unbegrenzt. Im Grundgesetz steht, die Politik muss etwas für die Gleichstellung tun. In Schweden gibt es so ein Gesetz. Darin ist festgelegt, dass Unternehmen einen Gleichstellungsplan haben müssen. Sie müssen nachweisen, dass sie sich bemüht haben, Chefposten mit Frauen zu besetzen. An Sanktionen kann man sich viel einfallen lassen, Strafzahlungen oder den Plan als Kriterium für die Vergabe öffentlicher Aufträge. In Norwegen geht sogar die Börsenzulassung verloren.
Die Einkommenslücke zwischen Männern und Frauen ist in Deutschland extrem groß, 22 Prozent. Was kann man tun?
Vieles. Zum Beispiel wird typische Frauenarbeit oft geringer bewertet als Männerarbeit. Es gibt aber Bewertungsverfahren, die solche Diskriminierungen vermeiden helfen. Die werden in anderen Ländern auch angewandt. Warum nicht bei uns?
Weil die Regierung sich nicht in die Tarifautonomie einmischen will?
Aber wenn Tarifverträge diskriminierend sind, ist die Politik gefragt. In Belgien etwa hat die Regierung die Tarifparteien an einen Tisch gebracht, ihnen gezeigt, dass es diskriminierungsfreie Bewertungsverfahren gibt, und dies vor allem in der Öffentlichkeit auch sehr klar gemacht. Ein Mindestlohn würde die Lohnlücke übrigens auch verkleinern.
Nun wird ja wieder öfter nach neuem Feminismus gerufen. Denken Sie, dass sich aus dieser Richtung noch einmal gesellschaftlicher Druck aufbauen könnte?
Ich erlebe das bei unseren Absolventinnen auch. Sie gehen durch ein relativ egalitäres Bildungssystem und stoßen sich dann verwundert den Kopf an der gläsernen Decke, weil die Wirtschaft ambitionierte Frauen einfach nicht vorsieht. Aber diese Frauen suchen sich eher einen individuellen Weg. Mentoring etwa ist ganz groß in Mode bei diesen Frauen. Das ist auch schön, aber ob daraus gesellschaftlicher Druck erwachsen kann? Das müssen wir erst noch sehen.
INTERVIEW: HEIDE OESTREICH
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