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Experte zur Krise der US-Autobauer"Detroit hat eine große Zukunft"

Chrysler stoppt bis Mitte Januar die Produktion. Aber mit Nichtstun wird die Krise nicht beigelegt. Hinter den Kulissen arbeiten alle bereits an Auswegen, weiß Experte David Cole.

Alle Räder stehen still, wenn das Kapital es will. Chrysler legt seine Produktion erstmal auf Eis. Bild: ap
Interview von Adrienne Wolterdsdorf

taz: Chrysler hat angekündigt, bis Mitte Januar die gesamte Produktion in Nordamerika stillzulegen. Ist das jetzt der Anfang vom Ende?

David Cole: Keineswegs. Bei der gegenwärtigen Krise auf dem Kreditmarkt verkaufen sich Autos einfach nicht. Es wäre also verrückt, weiterhin Autos zu bauen, die niemand kaufen kann. Zudem ist da die Unsicherheit, ob die Detroiter Autokonzerne den von der US-Regierung erbetenen Überbrückungskredit bekommen. Da hilft eine Produktionspause allemal beim Geld sparen.

Dass die Bänder in Detroit stillstehen ist ziemlich medienwirksam, wenn die Autobauer beweisen wollen, dass sie dringend Hilfe brauchen. Ist der Produktionsstop also auch Taktik?

Mag sein. Ich finde es sehr ermunternd, dass hinter verschlossenen Türen gerade sehr ernsthafte Gespräche stattfinden zwischen der Regierung und der Autoindustrie, den Gewerkschaften und den Anteilseignern. Allen Beteiligten ist der dramatische Ernst der Lage klar, das setzt alle am Tisch unter Handlungsdruck. Die Regierung, und das stimmt mich optimistisch, weiß, dass ein Zusammbruch unvergleichlich teurer kommt als ein Hilfspaket.

ZUR PERSON

David E. Cole, 71, promovierter Autoingenieur, ist unter anderem der Vorsitzende von CAR, dem "Center for Automotive Research", einer unabhängigen Denkfabrik für die Analyse der US-Autoindustrie mit Sitz in Ann Arbor, Michigan. Cole beobachtet die Autobranche seit 40 Jahren und berät die Gouverneurin des US-Bundesstaates Michigan in Fragen erneuerbarer Kraftsoffe. Zuvor war er Direktor des "Office for the Study of Automotive Transportation (OSAT)" am Forschungsinstitut für das Transportwesen der University of Michigan.

Im US-Kongreß vorletzte Woche sah es aber keineswegs so aus, als ob die Republikaner großes Interesse hätten, nach Lösungen für Detroit zu suchen?

Zum Glück geht es bei den jetzigen Verhandlungen nicht mehr um Parteipolitik. Die öffentlichen Anhörungen von neulich waren nur großes Theater für die Wähler zu Hause. Zwischen den Senatoren der Südstatten und dem nördlichen Industriestandort Detroit besteht einfach keine Liebe. Hinter verschlossenen Türen haben die Regierungsvertreter aber jetzt die Chance, sich mal gründlicher über die Fortschritte und Probleme der US-Autoindustrie zu informieren.

Haben die das nicht längst getan?

Die Kongreßabgeordneten verstehen viel von Finanzmärkten, aber leider kaum etwas von der Rolle der Industrie in der US-Ökonomie. Sie verstehen nicht, dass die Automobilbranche mit extrem hohen Fixkosten arbeiten muß und nicht so schnell auf die Kontraktionen des Marktes reagieren kann. Mir scheint, dass die Politiker in Deutschland und Japan besser Bescheid wissen über die industriellen Produktionsbedingungen in ihren Ländern. Hier gibt es nichts, was man guten Gewissens Industriepolitik nennen könnte.

Bislang hieß es doch, es sei vor allem die Autoindustrie, die sich mal runderneuern müsste?

Das traf vor einigen Jahren zu. Diese Kritik ist einfach nicht mehr aktuell. Die Produktverbesserung der letzten Jahre war dramatisch, vor allem bei GM und Ford, Chrysler müsste daran noch ein bisschen arbeiten. Ich wäre daher nicht überrascht, wenn es mittelfristig zur Fusion von Chrysler und GM kommt, das wäre vernünftig. Die Regierung sollte zudem darauf drängen, die Überkapazitäten abzubauen. Es wurde zwar schon viel wegrationalisiert, aber da ist noch Luft drin. Natürlich wäre das kurzfristig schmerzvoll, denn es würde weitere Entlassungen bedeuten, aber langfristig ist es einem absehbaren Kollaps vorzuziehen.

Moment mal, sagen Sie etwa, dass die US-Autos ausreichend energieffizient sind?

Wir werden sehen, wie sich die Vertreter strengerer Umweltschutzregelungen unter der neuen Administration durchsetzen. Die große Herausforderung für die US-Autoindustrie ist es, profitable Autos zu bauen, die die Leute auch wollen. Und die US-Kunden lieben nun mal ihre Trucks und Geländewagen. Auch Toyota muß in den USA mit dem Tundra und dem Sequoia die riesigen Geländewagen und Pick-ups anbieten. Trotzdem hat Toyota den Ruf, umweltfreundlich zu sein. Ich bin sicher, dass es unter der neuen Administration Kompromisse geben wird, und zwar solche, die der Autoindustrie nicht das Geldverdienen unmöglich machen.

Eigentlich wollen GM und Chrysler doch nur einen Überbrückungskredit. Warum muß da so zäh verhandelt und die Angst um hundertausende von Arbeitsplätzen geschürt werden?

Die Republikaner haben wenig Interesse daran, auch noch für die Probleme der US-Autoindustrie verantwortlich gemacht zu werden. Sie haben versucht, den schwarzen Peter weiter an die Obama-Administration zu geben. Da das aber nicht mehr geht, werden sie jetzt schnell handeln. Die Regierung will aber sichergehen, dass im Gegenzug für die staatliche Hilfe die Autoindustrie ihre Strukturprobleme löst. Der gegenwärtige Prozeß ist also eher eine große Chance als ein sinnloses Tauziehen.

Wird Detroit die Krise überleben?

Die Autoindustrie in diesem Land hat eine wirklich große Zukunft vor sich. Es ist notwendig, dass die Autobauer mit dem Überbrückungskredit Zeit gewinnen. Denn die Kreditkrise wird noch einige Monate anhalten. Im Februar werden wir bereits eine klarere Vorstellung davon bekommen, wie sich der Engpass weiter entwickelt. Sobald die Talsohle durchschritten sein wird, wird die Nachfrage nach Autos sprunghaft und nachholend ansteigen.

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