■ Ex-Radiomoderator Bertram und die Akte „Romeo“: Huhu, liebes Aktenvolk!
Amnesie scheint wohl die wesentliche Spätfolge zu sein, unter der hauptamtliche wie inoffizielle Mitarbeiter des untergegangenen Mielke-Ministeriums zu leiden haben. Das gilt auch im Fall des geschaßten ORB-„Frühstücksdirektors“ Lutz Bertram, der wie sein MfS-Führungsoffizier Alexander Misch sich heute nur an politische Debatten, an stundenlange Diskussionen über den Marxismus-Leninismus, erinnern will. Die Akten sprechen eine andere Sprache. Mögliche Übertreibungen und Zuspitzungen berücksichtigt: die Unterlagen zeichnen das Bild eines überaus eitlen Mannes, eines Rundfunkmitarbeiters, der freiwillig und zielstrebig mit den Mitarbeitern des MfS kooperierte, der sich regelrecht andiente und dabei stets eines verfolgte: „Was springt dabei für mich heraus?“ Keiner hat Bertram zur Mitarbeit genötigt. Am deutlichsten wird dies bei den von ihm selbst im Februar 1985 angestellten Überlegungen, mittelfristig seinen Posten im DDR-Rundfunk aufzugeben, um dann als freier Mitarbeiter in den Westen reisen zu können – um dort dann von Mielkes Männern auf sogenannte „Zielpersonen im Operationsgebiet“ angesetzt zu werden. Weder Bertram noch Misch wollen sich heute an solche Überlegungen erinnern können.
Mit der Öffnung der Stasi-Akten verfolgten die Stasi-Opfer und die Bürgerbewegten nach der Wende nicht nur das Ziel, die Arbeit, Wirkungsweise und die Folgen des Spitzelministeriums offenzulegen. Es sollte auch eine Auseinandersetzung initiiert werden über den aufrechten Gang, über die Frage, wer, warum und unter welchen Umständen zum Mitmacher des konspirativen Schattenreiches in der DDR wurde. Fünf Jahre nach dem Ende der Staatssicherheit muß man einräumen, daß dieser Anspruch gescheitert ist – er ist am hinhaltenden Widerstand der früheren Inoffiziellen Mitarbeiter aufgelaufen, die sich weigern, ihre Tätigkeit für das MfS einzuräumen und darüber zu reden. Einige wenige ausgenommen. Die Abkürzung IM, behaupten heute viele der ehemaligen Stasi-Zuträger, grenze pauschal aus, stoße sie ins Abseits – klar, daß man das heute deshalb nicht mehr eingestehen könne. Doch IMs wie Bertram oder sein ORB-Kollege Jürgen Kuttner müssen sich fragen lassen, ob sie zu dieser behaupteten Ausgrenzung nicht selber beigetragen haben. Hätten sie den „integralen Bestandteil ihrer Biographie“ (Kuttner) rechtzeitig offengelegt, sie hätten einen wesentlichen Einfluß auf den Verlauf der Debatte nehmen können. Jetzt ist es dafür zu spät – jede weitere Enthüllung über prominente DDR-BürgerInnen als IMs hinterläßt nur noch einen schalen Geschmack von Opportunismus, der sich darauf stützt, die eigene Akte könnte vielleicht ja doch vernichtet worden sein. Wolfgang Gast
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