piwik no script img

Ex-Kanzler Schröder stellt sein Buch vorDas Schweigen der Frösche

Das schenkt sich Gerhard Schröder zum 70. Geburtstag: ein 240-Seiten langes Interview in Buchform. Ausgiebig rechnet er mit seinen Kritikern ab.

Während der Buchvorstellung: Schröder ist ganz bei sich. Bild: dpa

BERLIN taz | Was tun, wenn die eigene Partei die Agenda 2010 dekonstruiert und im kollektiven Gedächtnis vor allem der Satz hängenbleibt: Putin sei ein lupenreiner Demokrat? Man bestellt sich einen Journalisten als Stichwortgeber und führt ein ausgiebiges Interview mit sich selbst. Am Freitag stellte Ex-Kanzler Gerhard Schröder das Ergebnis dieser Zusammenarbeit vor: „Klare Worte. Im Gespräch über Mut, Macht und unsere Zukunft“, heißt sein Buch. Gefragt nach dem Anlass, sagt er: „Ein Geschenk zu meinem 70. Geburtstag an mich selbst.“ Klare Worte eben.

Das Konzept geht wirklich auf: noch einmal steht Schröder im Blitzlichtgewitter und winkt wie ein Knattermime von der Bühne (doch, die 70 sieht man ihm an). Sein Parteifreund Martin Schulz würdigt ihn als großen Staatsmann und outet sich launig als frog: "friend of Gerhard Schröder."

Das Werk selbst lässt sich – obwohl 240 Seiten stark – problemlos in 45 Minuten lesen. Es gibt ein paar kühne Gedanken, wie die EU ihre künftige geostrategische Position durch Aufnahme der Türkei und eine Assoziierung mit Russland sichern kann. Man liest amüsante Anekdoten wie Präsident Bill Clinton die Europäer stets eine Stunde warten ließ, weil er immer zu spät kam. Die Kernbotschaft aber lautet: Meine Arbeit als Kanzler war wegweisend und richtig.

Deshalb würdigt Schröder, der wohl selbst der größte frog ist, sie ausgiebig. Seitenlang darf er die Agenda 2010 verteidigen und mit seinen inner- und außerparteilichen Kritikern abrechnen. Deren Kritik wird seitens des Interviewers in vorauseilendem Gehorsam als „Propaganda“ bezeichnet. Schröder versteigt sich sogar zu der These: „Hätten wir die Erfolge der Agenda 2010 für uns reklamiert, dann wäre die SPD die erfolgreichste sozialdemokratische Partei in Europa, da bin ich sicher.“ Wenn überhaupt etwas schiefgelaufen ist, dann vielleicht, dass das Konzept der Leiharbeit missbraucht wurde.

„Es mag da Fehlentwicklungen gegeben haben“

Dass Deutschland heute den größten Niedriglohnsektor Europas hat und der Staat nach einer Studie der Universität Essen zwischen 2007 und 2011 mehr als 53 Milliarden Euro dafür ausgiebt, niedrige Löhne durch Hartz-IV-Leistungen aufzubessern, wird nicht thematisiert.

Zu dieser Teilamnesie passt, dass Schröder sein Geburtstagsgeschenk ausgerechnet in der Berliner Vertretung der Deutschen Bank öffentlich auspackt. Deren Vorstandsvoritzender Anshu Jain lässt es sich nicht nehmen Schröder persönlich zu danken für die bleibenden Leistungen seiner Kanzlerschaft und seine Unterstützung für die Banken.

Stimmt ja: unter Schröders rot-grüner Regierung wurden die Regeln für den Finanzmarkt erheblich gelockert und Hedge-Fonds in Deutschland erst zugelassen. Blöd nur: Während die Deutsche Bank im vergangen Jahr fast 800 Millionen Euro Gewinn macht, müssen die Steuerzahler Milliarden zur Rettung der Banken, die sich verspekuliert hatten, abschreiben. Und die Rechnung für die Eurokrise, die nach der Finanzkrise kam, wird in voller Höhe erst noch präsentiert.

Als Schröder auf seiner Vor-Geburtstagsparty nach einem möglichen Zusammenhang zwischen den Deregulierungen für den Finanzmarkt und der Eurokrise gefragt wird, antwortet er dürr: „Es mag da Fehlentwicklungen gegeben haben, die korrigiert werden müssen.“ Und dann war er auch schon wieder bei seiner Agenda 2010. Kein frog fragte nach.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
  • Ein hab ich noch: Soweit ich mich erinnere, war des Schröders letzte Amtshandlung, den Einbau kugelsicherer Fenster in sein Heim, auf Kosten anderer zu beauftragen. Zu dem Vorgang gäbs natürlich ca. fünf gute Pointen, die ich mir schenke. Als politisches Vermächtnis des Schröders bleibt: Hat sich auf Staatskosten kugeksicheres Fensterglas in sein Eigenheim einbauen lassen.

    Voll coool.

  • Was ist denn aus der süßen Frau Schröder geworden über Nacht? Da sag ich mit ner alten Obsthökerin: "Ne j'ais pas le cul plus beaux que vous vos visage?"

  • R
    Ridicule

    Mach´s noch einmal...

     

    GazPromGerd unter Kultur -

    echt staak

     

    ok - in 45min durch

    und die Scorpions spuiln dazu- - gaahrp

     

    aber - da hat er seinem

    alterego Putin was zu erzählen;

     

    der hat´s ja mehr mit der

    Nackten Kanone

  • B
    Blechstein

    Man sollte Schröder bestmöglichst vergessen. Sein Konterfei im Kanzleramt - ganz in Gold gemalt - wird uns erhalten bleiben.

  • A
    Arne

    "Erfolge der Agenda 2010"????

     

    Welche Erfolge meint der denn?

    Ich kenne niemanden, dem es nach dieser Agenda besser geht wie vor 1998. Da ist maximal ein Informatiker, der nach jahrelangem Studium es sich heute erlauben kann, mit einer halben Stelle gut zu verdienen, was jemanden, der keine Familie hat und lieber vorm PC sitzt, reicht. Okay, ein anderer ist noch in der Schweiz in Arbeit gegangen als Erfolg der Agenda.

     

    Aber sonst ist mir niemand bekannt, der meint, es ginge ihm heute besser. Und ich kenne Ärzte, Beamte des höheren Dienstes und ähnliches.

    Okay, evtl. zu wenige Vorsitzende von Aufsichtsräten. Aber auch in der öffentlichen Debatte habe ich nie von Menschen gehört, denen es nach Schröder besser ging als vorher.

    Außer ihm selbst und Merkel vielleicht.

  • H
    H.D.

    Seine Mauscheleien mit dem lupenreinen Demokraten Putin nehme ich ihm übel.

    Ansonsten kann ich ihm nicht allzu viel vorwerfen. In den 90gern haben die allermeisten Menschen den Banken noch fast alles abgekauft. Nicht nur der Gerd. "Neuer Markt" sag ich da nur. Die Agenda 2010 war trotz Fehlern im Detail richtig und wichtig. Die Kritiker daran glauben immer, dass man als Deutscher ein Recht auf ein Leben an der Sonnenseite habe. Die Menschen in Bangladesch z.B. arbeiten für einen Hungerlohn und erleben ihr Rentenalter oft gar nicht. In Deutschland ist hingegen schon die Hölle los, wenn man die immer noch weltweit führenden Sozialleistungen dahingehend reformiert, dass es mehr Anreize zur Arbeitssuche gibt. Das der Niedriglohnsektor gewachsen ist, dafür kann der Gerd nichts. Die Welt wächst enger zusammen und es gibt für jede deutsche Arbeitskraft immer mehr Wettbewerb. Ich bin zwar für den Mindestlohn, aber auch der wird daran auch nichts ändern: Spitzenverdiener waren Menschen, die einfache und unqualifizierte Tätigkeiten verrichten nie und sie werden es auch definitiv nicht mehr werden. Und man kann die Reichen in Land natürlich weitaus stärker belasten: beim demographischen Wandel reicht das Geld trotzdem hinten und vorne nur noch für die Rente mit 67 und einen niedrigen Anteil an 100% Empfängern von Sozialleistungen. Genauso egoistisch ist die Kritik an Militäreinsätzen. Wenn man nicht tatenlos zusehen will bei Krisen - und sogar "Pazifisten" haben z.B. auch früher schon für Nicaragua gespendet - dann müssen auch deutsche Soldaten helfen. Wir sind nicht zu schade für die Drecksarbeit.

  • G
    GAST

    Da schreibt sich einer seine Lebenslüge schön. Geistig noch unbedarfter sind allerdings jene, die sich die Schwarte auch noch kaufen werden…

  • S
    Sklave

    Der Typ und seine Freunde haben uns auch die eGK an die Backe geklebt. Widerlich.

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    "Wenn überhaupt etwas schiefgelaufen ist, dann vielleicht, dass das Konzept der Leiharbeit missbraucht wurde." - Das ist nicht schiefgelaufen, sondern war von Anfang an so geplant. Moderne Sklavenarbeit sollte die deutsche Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig machen.

  • D
    Dimitri

    "Meine Arbeit als Kanzler war wegweisend und richtig."

     

    Die SPD hat jetzt 25 Prozent und träumt von einem Come-Back als Volkspartei. Das war mal anders. Das war vor Schröder. Dieser Kanzler hat die Partei und das ganze Land schön nach Unten gebracht. Die einzigen Gewinner bei ihm sind Reiche, Mächtige und Elitebeamten - der Rest kriegt Saures. Solche Dinge findet er wohl irgendwie super, aber man muss nur mal ihn selber ansehen, wie er spricht, wie er leicht besoffen immer wirkt. Es ist traurig, dass so wenige Menschen ihn mal näher sehen können, denn bei Schröder stimmt nix, nur sein Ego und seine Verklärung. Die Historiker werden ihn irgendwann zerpflücken, weil es keine echte Leistung bei ihm gibt. Bei immerhin sieben Jahren ist das schon sehr flau.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Mich hätte noch interessiert, ob er nun färbt(e) oder nicht.

    Immerhin war dem Kanzler diese Frage meines Wissens eine Klage wert.

  • Niedriglohn und Leiharbeit sind die zwei wesentlichen Faktoren, welche die Agenda 2010 erfolgreich gemacht haben. Alles andere drumzu ist unbedeutend.

     

    Schröder hat den roten Teppich ausgerollt, auf dem Merkel mittlerweile mit Knobelbechern Europa platt trampelt.

    • @lichtgestalt:

      Sie verkennen m.E. die Tatsache , dass die SPD vor , mit und nach Schröder eine Partei war und ist , die unverbrüchlich "auf dem Boden des Kapitalismus" steht . Ihre Daseinsberechtigung bezog sie aus ihrer Funktion als "Zähmungs"-, Mackenglättungs- und Reparaturkolonne . Die Rot-Grüne-Koalition trat zu einer Zeit an , als es der Kapitalverwertungsgesellschaft suboptimal ging . Und dies nicht zuletzt wegen der längst überfälligen Ablösung des Arbeitsförderungsgesetzes , der nicht mehr in die Zeit passenden Arbeitslosenhilfe neben der Sozialhilfe . Diese "Reparatur" am System war sicher die schwerste , die die SPD je auf sich genommen hat , und - sie brachte das System wieder "zum Laufen" . Ich schätze auch , dass die CDUCSUFDP das nicht gegen eine dagegen ankämpfende SPD durchgekriegt hätte .

       

      Gegen Merkel sind Sie ebenfalls ungerecht . Die Merkel-Regierung stand und steht vor der Herkules-Aufgabe , zusammen mit dem Euro den Fortbestand des ganzen Systems über die Jahre zu "retten" . Und die SPD hat offenbar kein Problem damit , Merkel dabei zu assistieren ...

      Übrigens : ich habe noch nie CDUCSUFDP gewählt (74 J.)

      • @APOKALYPTIKER:

        "..Übrigens : ich habe noch nie CDUCSUFDP gewählt.." Da haben wir ja was gemeinsam. Aber wo war ich ungerecht? Ich habe nur analysiert was ich in Betrieben so erlebe.

    • @lichtgestalt:

      Dafür, dass Schröder die aktive Teilnahme am Irakkrieg verweigert hat, und dass er uns von Kohl erlöst hat und dass er einen Kanzler Lafontaine verhindert hat, bin ich ihm trotzdem auf ewig dankbar.

      • A
        atze
        @lichtgestalt:

        dafür das diese regierung, "deutschland" wieder ready for krieg gemacht hat und millionen menschen die bürgerrechte genommen hat (hartz4) wünsche ich ihm gesundheit aber ansonsten kann er sich .....

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @lichtgestalt:

        Ich auch.

        Aber die Befreiung vom Kohl'schen Mehltau ist auch schon wieder über 15 Jahre her und seit 2005 breitet sich derselbe Mehltau schon wieder über der Republik, bzw. der ganzen Eurozone aus.

  • Sep. 1998 , der Regierungswechsel von 16 Jahre Kohl auf Rot- Grün war erlösend so dachte ich , auch dachte ich das wird für Rot-Grün nicht einfach Kohls Beton Bimbels Regiment auf zu bröseln . Dennoch war ich guter Dinge .

     

    Tja , was dann kam war so wie * Vom Regen in die Traufe * Agenda 2010 , Hartz 4 , 1€ Jobs, BW Beteiligung im Kosovo , Einschnitte im gesamten Sozialen Bereich , Boss der Bosse , Einladung der Finanz Heuschrecken , Lupenreine Demokraten Putin Truppen , Kurfürsten / König Duo Schröder / Fischer und vieles mehr . Nein , Schröder war was zum abgewöhnen .

     

    Nun, 1998 glaubte ich noch am Willen und Gestaltung einer Politik . Das ist aber schon lange vorbei .

     

    Heute müsste ich nach schauen ob ein * Hand Shake* mit einem Politiker noch meine Hand dran ist .

     

    mfg BB

  • D
    D.J.

    Ich halte die Arbeitsmarktreformen prinzipiell für eine große Leistung - man hätte sie jedoch nicht ohne Einführung eies Mindestlohnes durchsetzen dürfen.

    "Dass Deutschland heute den größten Niedriglohnsektor Europas hat", - ist lediglich eine wunderliche statistische Spielerei und angesichts der Tatsache, dass die so genannten Niedriglohnempfänger im Durchschnitt immer noch mehr verdienen als die Niedriglöhner in zahlreichen anderen europäischen Ländern, keine sonderlich sinnvolle Bezeichnung.

    • @D.J.:

      Natürlich ist die Bezeichnung "Niedriglohempfänger*innen" sinnvoll. Diese Menschen konsumieren vor Ort und nicht dort, wo andere Menschen noch weniger verdienen und das Preisniveau dementprechend geringer ist.