■ Ex-Guerilla-Sender „Radio Vencerémos“ benennt sich um: Ein Herz in Stereo
San Salvador (taz) – Ein Radiosender ist ein aktuelles und schnelles Medium. „Radio Vencerémos“, im salvadorianischen Bürgerkrieg Untergrundsender, ist seiner Zeit sogar weit voraus. Für die „offizielle Stimme“ der inzwischen zur politischen Partei umgemodelten Guerilla-Front FMLN ist jetzt nicht mehr Sieg Trumpf, sondern Herz.
Während die kürzlich aus der FMLN ausgetretene Fraktion um Joaquin Villalobos noch an einem Namen für ihre neue sozialdemokratische Formation bastelt, hat das dieser Tendenz nahestehende Radio seine Umbenennung schon bekanntgegeben: „Corazón Estereo“ – unter diesem mit „Ein Herz in Stereo“ nur unzureichend übersetzten Namen will der Sender ab dem morgigen Mittwoch auf HörerInnen- und vor allem WerbekundInnenfang gehen.
Die alte Bezeichnung habe sich überlebt, zu viele Assoziationen an die Kriegszeiten wachgehalten, die Bevölkerung verwirrt und die Unternehmen abgeschreckt, begründet der Chef des Radiosenders, Carlos Argueta, den herzigen Namenswechsel. Argueta war einst einer der getreuesten politischen Vasallen des Ex-Guerillaführers Villalobos gewesen. Ganz so, als ob die Bevölkerung und die Unternehmer in El Salvador eine Ansammlung von IdiotInnen wären, die nicht wüßten, daß „Corazón Estereo“ weiterhin mit „Radio Vencerémos“ identisch ist.
Charakterlos, kitschig oder schier peinlich? Carlos Argueta weist die Kritik an dem neuen Namen, bei dessen Entwicklung sogar ein veritabler Werbefachmann mitgewirkt haben soll, vehement zurück: „Corazón steht als Symbol für die neuen Zeiten, als Symbol für Liebe und Versöhnung.“
Die HörerInnenschaft wurde bei der Namenssuche freilich überhaupt nicht einbezogen. Radiochef Argueta: „Ehrlich gesagt, bin ich auf diese Idee gar nicht gekommen.“
So dümmlich sich die neue Bezeichnung anhört und so lächerlich das gemalte Herz auf den Briefköpfen, Aufklebern und T-Shirts daherkommt, markiert die Umbenennung dennoch nur das I-Tüpfelchen in der rasanten Entwicklung des Radios vom Zentralorgan der Guerilla zum unpolitischen, durchkommerzialisierten Dudelfunk.
Bis auf ein zweistündiges, inhaltlich flaches Magazin am frühen Vormittag, das von dem einstmals legendären Sprecher „Santiago“ und dem letzten verbliebenen Nachrichtenjournalisten Marvin Galeas moderiert wird, hat „Radio Vencerémos“ in den vergangenen Monaten Wortsendungen samt und sonders aus dem Programm gestrichen. Ab 8 Uhr (morgens, wohlgemerkt!) sind nicht einmal mehr Nachrichten zu hören – von Reportagen und Hintergrundberichten, politischen Analysen und Kommentaren ganz zu schweigen.
Statt dessen wird ein durchgängig seichtes Musikprogramm angeboten, bei dem sich einheimische Schlager mit englischen bzw. US- amerikanischen Popsongs abwechseln. „Die Bevölkerung will unterhalten werden“, gibt Carlos Argueta zu Protokoll. „Nach den Jahren der militärischen und politischen Konfrontation haben die Leute in El Salvador jetzt ein starkes Bedürfnis nach Ablenkung.“
Offiziell und quasi vor offenen Mikrofonen hatte sich „Radio Vencerémos“ bereits am Vorabend der Wahlen im März des vergangenen Jahres von seiner kämpferischen Geschichte verabschiedet.
Damals entschieden die Chefs des Radiosenders, sich statt in die Abschlußsendung der Links-Koalition in die letzte Wahlveranstaltung der rechtsradikalen „Arena“ einzuklinken. Die Regierungspartei hatte dafür eben mehr Geld geboten. Reimar Paul
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