: Evolutionäre Nachteile
betr.: „Freiheit der Erkenntnis“ von Bernhard Becker, taz vom 8. 6. 01
Nach logischen Gesichtspunkten mag die Zeugung eines behinderten Embryos genauso zufällig sein wie die Zeugung an einem Freitag (ob man das angesichts heutiger Vererbungskenntnisse sagen kann, ist dahingestellt), und deswegen nicht das richtige Argument gegen eine generelle PID.
Aber es geht bei dieser Diskussion nicht nur um die Ursachen, sondern vor allem um die gesellschaftlichen Folgen von PID. Und da lässt sich historisch und logisch (nämlich spieltheoretisch) vermuten, dass Gesellschaften, die die „Lebensfähigkeit“ ihrer Nachkommen selbst normieren wollen, auf lange Sicht aus zwei Gründen evolutionäre Nachteile haben. Der eine Grund ist, dass die Norm einer generellen Unterstützung Behinderter eine Gesellschaft insgesamt „barmherziger“ macht, weil sie ein großes Maß an Kooperationsbereitschaft hervorbringt. Der zweite Grund ist, dass die Möglichkeit der Geburt außergewöhnlicher Talente beschnitten wird (zum Beispiel Stephen Hawkins), denn eine Vorhersage aller Fähigkeiten eines Menschen aus den Genen ist allein logisch unmöglich. Deshalb macht meines Erachtens eine Norm eines unterschiedslosen „Rechts auf Leben“ für alle gewollten Embryonen auch ohne religiöse Begründung Sinn.
Diese Argumente helfen allerdings den einzelnen Eltern nicht. Ihnen aber die Entscheidung zwischen mit oder ohne PID ganz allein zu überlassen, würde die Verantwortung für diese gesellschaftlichen Konsequenzen aus der Hand der Politik geben. Deshalb muss die Anwendung der PID politisch und juristisch klar geregelt werden [...]. VOLKER MÜLLER-BENEDICT, Göttingen
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