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Euthanasie–Arzt nannte Patienten „geistig Tote“

Frankfurt (dpa) - Als „geistig Tote“ hat der wegen Beihilfe zum Mord angeklagte Frauenarzt Dr. Aquilin Ullrich (72) aus Stuttgart am Montag im Frankfurter Euthanasie–Prozeß die „Patienten“ und Todeskandidaten bezeichnet, die ihm Frühjahr 1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg/Havel vor dem Tod in der Gaskammer vorgeführt wurden. Ullrich sprach von einer „apokalyptischen Reihe von Gestalten“, an denen eine „komplette Katastrophe menschlicher Gehirne“ zu erkennen gewesen sei. Der angeklagte Frauenarzt schilderte detailreich die Registrierung der „Patienten“ auf ihrem Weg in die Gaskammer, ging aber auf seine eigene Tätigkeit nicht näher ein. Er gab auch keine Auskunft darüber, ob er gelegentlich auch selbst den Gashahn betätigt habe. In einer früheren Aussage in den 60er Jahren hatte er dies zugegeben. Der Angeklagte schilderte am Montag dem Frankfurter Gericht unter anderem ausführlich die sogenannte „Identifizierung der Patienten“ nach der Ankunft in der Tötungsanstalt. Sie seien den Ärzten unbekleidet und mit „Klebestreifen auf dem Rücken“ vorgeführt worden, auf denen der Name und die Herkunftsanstalt vermerkt waren. Diese Angaben wurden von den Ärzten mit der Krankenakte verglichen, ohne daß eine Untersuchung erfolgte. Dann wurde den „Patienten“ eine Nummer auf die Brust gestempelt, bevor sie in die Gaskammer abgeführt wurden. Die Gaskammer sei nicht als „Duschraum“ getarnt gewesen, erklärte Ullrich. Nach seiner Darstellung wurden die Opfer auch nicht zum „Duschen“ aufgefordert. „Es war unter den Patienten niemand, der eine solche Aufforderung hätte aufnehmen können“, sagte der Angeklagte. „Ich kann mir auch heute nicht vorstellen, daß in diesm Patienten noch ein ein Rest von Menschsein vorhanden war“, behauptete Ullrich. „Hätte ich auch nur eine Spur geistigen Lebens gefunden, dann hätte ich den Patienten an der Hand genommen und herausgeführt.“ Der Angeklagte stellte sich in der Schilderung vor Gericht schließlich selbst die Frage, ob die Opfer gelitten hätten und kam zu dem Schluß: „Letztlich war ich es, der litt.“ Der Prozeß wird nächsten Mittwoch fortgesetzt.

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